Der ungebetene Gast besuchte das Restaurant im siebenbürgischen Dorf Micfalau mitten in der Nacht. Er kam durch die Hintertür.
«Kaum war er drin, hat der Bär auch diese Zwischentür hier eingedrückt und ist dann durch die Bar in die Küche eingedrungen», sagt Wirt Sylvester István und fährt mit dem Finger über die tiefen Kratzspuren am Türrahmen.
Auf seinem Handy hat István die Videos der Überwachungskameras von jener Nacht abgespeichert. Sie zeigen, wie der junge Bär Schränke aufbricht, Türme von Tellern zerdeppert. Und dann durch den Haupteingang des Restaurants wieder verschwindet.
Zurück lässt der Bär einen Schaden von umgerechnet über 2000 Franken – und Angst. «Ich habe vor allem Angst um meine Angestellten, die nachts das Restaurant schliessen und dann zu Fuss nach Hause gehen», sagt der Restaurantbesitzer. In letzter Zeit hätten Bären immer wieder versucht, in sein Restaurant einzudringen.
Rund um das Dorf gebe es 20 bis 30 Bären. Das seien zu viele. Und sie kämen immer öfter ins Dorf hinein. István befürchtet Schlimmes: «Der Bär spielt nicht. Es wird Tote geben.»
Ein Bär, der garantiert nie mehr spielt, hängt im kleinen Saal des Restaurants an der Wand. Das Bärenfell ist eine Jagdtrophäe von Kusztora Levente. In einer Vitrine stehen Fotografien, die den Jäger mit erlegten Löwen, Warzenschweinen oder eben Bären zeigen. Levente ist ein Freund von Restaurantbesitzer István und leitet eine örtliche Jagdgenossenschaft.
Wachsende Bärendichte
Für den Jäger ist klar: «Das Verbot der Bärenjagd in Rumänien vor sechs Jahren ist der Hauptgrund für die Bärenprobleme. Seither ist die Bärenpopulation von sechs- bis siebentausend auf rund zehntausend Tiere angeschwollen.»
Levente sagt, die Jägerinnen und Jäger hätten vor dem Bärenjagdverbot von 2015 nicht nur die Anzahl der Bären kontrolliert, sondern auch dafür gesorgt, dass sie im Wald blieben.
Früher bezahlten Ausländerinnen und Ausländer bis zu 8000 Euro, um in Rumänien einen Bären zu schiessen. Davon habe seine Jagdgenossenschaft etwa die Hälfte für die Fütterung von Bären im Wald ausgegeben. Seit dem Jagdverbot füttere niemand mehr die Bären und so suchten die ihre Nahrung eben in den Dörfern, sagt der Jäger.
Für Rumäniens Bärenprobleme gebe es nur eine Lösung: Die Regierung müsse die Jagd auf Bären wieder erlauben. «Dann würden wieder Jäger kommen und Bären schiessen. Und wir von den Jagdgenossenschaften würden uns um die Tiere kümmern und schauen, dass sie nicht in den Dörfern und Städten Probleme machen.» Und: Die Jagdgenossenschaften würden wieder gute Geschäfte machen.
Kommt ein Bär in ein Dorf, muss er geschossen werden. Punkt.
Bären, die wiederholt in Siedlungen herumstreunen und Probleme machen, dürfen auch heute geschossen werden. Allerdings braucht es dafür eine besondere Abschussgenehmigung. Und die sei nur über viel zu lange bürokratische Umwege zu erhalten, sagt Jäger Levente. «Kommt ein Bär in ein Dorf, muss er geschossen werden. Punkt.»
Zunahme der Bären wird erforscht
In einer anderen Ecke von Siebenbürgen, auf einer Waldlichtung im wilden Stramba-Tal, hockt Barbara Promberger. Mit einem Löffelchen schiebt sie ein paar Bröckchen Bärenkot in ein Plastikröhrchen. «Mehr braucht es nicht für eine DNA-Analyse», sagt die Wildtierbiologin.
Promberger wird die Probe in ein Labor schicken. «Wir wollen besser verstehen, wieso Bären, die das ganze Jahr über in den Wäldern leben, sich plötzlich in die Dörfer vorwagen und dort Schäden anrichten», sagt sie.
Die Österreicherin lebt schon seit den 1990er-Jahren in Siebenbürgen. Zusammen mit ihrem Mann betreibt sie einen Reiterhof, plant an den Flanken der Südkarpaten den grössten Nationalpark Europas und forscht.
Das Jagdverbot erklärt nicht die Zunahme der Bärendichte.
Wie stark die Bärendichte in Rumänien in den letzten Jahren zugenommen hat, weiss auch Barbara Promberger nicht. Aber sie ist sich sicher: «Das Jagdverbot erklärt nicht die Zunahme der Bärendichte. Das entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage», sagt die Biologin.
Hingegen sei klar, dass der Klimawandel dazu beitrage, dass die Probleme mit Bären zunähmen: «Die Winter hier in den Karpaten sind unglaublich mild geworden. Viele Bären gehen gar nicht mehr in den Winterschlaf. Wenn sie länger wach sind, brauchen sie mehr Futter. Und das begünstigt wiederum die Konflikte mit den Menschen, die in den Dörfern hier wohnen.»
Dazu kommt: Der Mensch dringt immer tiefer in die Habitate der Bären ein. Es wird gebaut, wo früher Wald war. Es wird Holz geschlagen, wo früher Urwald war. «Diese Störungen treiben insbesondere Bärinnen mit Jungen von einem Ort zum nächsten», sagt Promberger.
Und schliesslich sei es noch immer gang und gäbe, dass Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner Abfälle einfach vors Haus werfen. «Das Abfallmanagement hier ist stark verbesserungswürdig.»
Wir sollten uns fragen, wie viele Konflikte mit Bären wir aushalten.
Für ihren grossen Traum, den grössten Waldnationalpark Europas, haben die Prombergers – auch mit Hilfe des Schweizer Milliardärs Hansjörg Wyss – vier Jagdgebiete gekauft. Auch dort gibt es ab und zu Probleme mit Bären, die in Dörfer vordringen, es musste schon ein Problembär geschossen werden. Und auch Promberger kritisiert den bürokratischen Aufwand, den es braucht, um so eine Sonderabschussbewilligung zu bekommen.
Aber im Gegensatz zu Jäger Levente ist sie gegen eine Wiedereinführung der Bärenjagd. Was es brauche, sei ein ganz neuer Blick auf die Bären, findet Promberger. «Wir sollten wegkommen von der Frage, was die optimale Zahl an Bären sei. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie viele Konflikte mit Bären wir aushalten können.»
Lebende Bären können lukrativer sein
In den Jagdgebieten der Prombergers gibt es eine Eingreiftruppe, die hilft, das Mass an Konflikten zu bestimmen. Die Truppe kommt, sobald es ein Problem mit einem Bären gibt und diskutiert mit der lokalen Bevölkerung, was getan werden soll.
Soll versucht werden, den Bären zu verjagen? Soll versucht werden, ihn woanders hinzubringen? Oder soll eine Abschussgenehmigung beantragt werden? Das klappe erstaunlich gut, sagt die Tierschützerin.
Sie glaubt, dass die lokale Bevölkerung mehr davon hat, wenn sie die Bären leben lässt. Das zeige sich hier im Strambatal, wo Touristen hinkommen, um Bären zu beobachten: «Ich denke, die Jagdgenossenschaft hier verdient mit der Bärenbeobachtung viermal oder fünfmal so viel wie früher mit dem Abschuss der Bären.» Diese Einnahmen, sagt Promberger, veränderten die Einstellung der Bevölkerung gegenüber «ihren» Bären.