Harry Graf Kessler hiess der Mann, der die Aufgabe hatte, deutsche Propagandafilme in die Schweiz zu bringen. Kessler war unter anderem Kunstsammler und Diplomat und er nahm seine Aufgabe ernst: Er kaufte bis Ende 1917, also ein Jahr vor Kriegsende, elf Deutschschweizer Kinos auf, die fortan – über Strohmänner und Tarnfirmen – dem deutschen Staat gehörten. Darunter Kinos in Zürich, Luzern, Basel und St. Gallen.
«Eigentlich unterhielten alle grösseren kriegsführenden Staaten Propagandastellen in der Schweiz», sagt Filmwissenschaftler Adrian Gerber, der die Propagandatätigkeiten in Schweizer Kinos aufgearbeitet hat. Das Ziel der Kriegsparteien: Die politische öffentliche Meinung beeinflussen, damit sie selber stark wirken, der Gegner als schwach dasteht.
Propaganda-Drehscheibe Schweiz
«Die Schweiz wurde für die Propagandisten schnell sehr wichtig», sagt auch Historiker Alexandre Elsig, der an der ETH Lausanne zum Thema geforscht hat. Die Schweiz war neutral, geografisch im Herzen des umkämpften Europas, mehrsprachig. Die Kriegsparteien hofften, dass so ihre Propaganda über die Schweiz hinaus auch in die Feindesstaaten hineinwirkt.
Erstmals überhaupt wurde deshalb im Ersten Weltkrieg Propaganda institutionalisiert. Sowohl die Mittelmächte (Deutschland, Österreich-Ungarn) als auch die Entente-Staaten (Frankreich, Grossbritannien, die USA ab Kriegseintritt 1917) schufen zu Hause wie im Ausland Propagandabüros und nutzten von Radio über Zeitungen bis Postkarten jedes Medium, um ihre politischen Botschaften zu verbreiten
Von der Presse- zur Filmpropaganda
Bald entdeckten sie auch den Film. Kinos gab es bei Kriegsbeginn 1914 erst seit einigen Jahren, doch der Kinobesuch gehörte bereits zum Alltag. Kino war niederschwelliger als Bücherlesen, weniger exquisit als Oper oder Theater und noch dazu für alle erschwinglich.
Der Film galt als besonders nah und emotional. Das sorgte auch für viel Kritik beim Bildungsbürgertum. Pfarrer, Lehrer und Juristen sprachen von «Schund-Kinos», die eine «verrohende Wirkung auf das Gemüt» hätten.
Gerade wegen dieser Popularität bei der Masse versprachen sich dagegen Propagandisten viel vom Film. Die Bevölkerung war zusehends müde von der schriftlichen, intellektuellen Propaganda. So begannen die Kriegsmächte Filme herzustellen, die ihre eigene militärische Stärke und die Schwäche des Gegners demonstrieren und gleichzeitig unterhaltend-fesselnd sein sollten.
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Bild 1 von 3. Im Edelkino Orient in Zürich wurden während des Ersten Weltkrieges Propaganda-Kriegsfilme gezeigt. Bildquelle: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich.
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Bild 2 von 3. Bildquelle: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich.
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Bild 3 von 3. Bildquelle: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich.
«Es gab ein Standardrepertoire an Motiven und Themen, die in den Kriegsfilmen immer wieder vorkamen», sagt Filmwissenschaftler Gerber. Moderne leistungsfähige Waffen wurden etwa gezeigt oder ganz oft Kriegsgefangene der Gegenseite.
Kampfszenen waren meist gestellt, da nur schon die Kameraausrüstung etwas anderes gar nicht zuliess. In den Entente-Staaten entstand noch dazu ein eigenes Genre: Die «Hunnenfilme», die das Image «des bösen Deutschen» bestärken und so die deutschen Kriegsgegner als Barbaren und Unmenschen degradieren sollten.
Viele dieser Filme kamen auf normalem Wege in die Schweiz, wurden von den Kinos ausgeliehen und zur Unterhaltung aufgeführt. Doch die ausländischen Propagandisten in der Schweiz wollten nichts dem Zufall überlassen. Die eigenen Filme sollten möglichst weit verbreitet und Filmaufführungen des Gegners verhindert werden
Schützengraben quer durch die Schweiz
Die Deutschen gingen mit dem Aufkaufen von Schweizer Kinos am weitesten. Historiker Elsig geht aber davon aus, dass beide Kriegsseiten über alle Propagandamittel gesehen etwa gleich aktiv waren in der Schweiz. So liefen auch praktisch alle wichtigen französischen, britischen oder US-amerikanischen Propagandafilme in Schweizer Kinos – in der Westschweiz sogar fast ausschliesslich diese. Denn die Romands waren nicht gut auf die Deutschen und deutsche Filme zu sprechen.
Die lateinische Schweiz war ausgeprägt antideutsch und so liefen in Westschweizer oder Tessiner Kinos auch kaum deutsche oder österreichisch-ungarische Propagandafilme. Dafür wurde auch schon mal die Marseillaise zur Begleitung von französischen Propagandafilmen gespielt.
Bilder aus dem Kriegsfilm «Die 10. Isonzoschlacht»
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Bild 1 von 4. Oft waren die Filme koloriert. So auch der österreichisch-ungarische Propagandafilm «Die 10. Isonzoschlacht» von 1917. Bildquelle: Filmarchiv Austria.
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Bild 2 von 4. Szenen von Schlachtfeldern waren häufig in Rosa. Bildquelle: Filmarchiv Austria.
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Bild 3 von 4. Als Effekt wurden oft auch Farbwechsel genutzt. So kam auch Grün oder ein kräftiges Rot zum Einsatz. Bildquelle: Filmarchiv Austria.
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Bild 4 von 4. Insgesamt hatte der Film «Die 10. Isonzoschlacht» eine Spieldauer von rund einer Stunde. Bildquelle: Filmarchiv Austria.
In der Deutschschweiz hingegen, die für ihre Zuneigung zu Deutschland bekannt war, war die Rezeption gemischter, wie Adrian Gerber sagt. Es liefen Filme praktisch aller Kriegsparteien. Man habe die Filme wohl auch weniger als politische Werke verstanden, sondern zu Informationszwecken und vor allem zur Unterhaltung geschaut. Die ausländischen Propagandafilme trugen so nochmals zur innerschweizerischen Spaltung bei.
Propaganda und Film profitierten langfristig
Die deutschen Behörden waren mit ihrem Propagandamann Kessler übrigens nicht nur zufrieden. Er habe für zu viel Geld nur «kleine Mist-Kinos» gekauft, die nicht rentierten. So zitiert Adrian Gerber in seinem Buch «Zwischen Propaganda und Unterhaltung» aus einem Bericht. Ein deutscher Gesandter wiederum soll gesagt haben: Sobald wieder Friede herrsche, werde die Schweiz als Drehscheibe der Propaganda ohnehin in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Das bewahrheitete sich auch: Nach Kriegsende 1918 wurden die Propagandastrukturen in der Schweiz abgebaut, das Filmgeschäft verlagerte sich vom Politischen ins Wirtschaftliche. Was blieb, war ein neues Wissen, wie Propaganda funktioniert. Es sollte wenig später, im Zweiten Weltkrieg, reaktiviert werden.
Und auf das Schweizer Filmschaffen hatte der Erste Weltkrieg eine überraschend positive Wirkung: Die Diskussion um ausländische Einflussnahme schuf eine Gegenbewegung. Die Idee, eigene Schweizer Filme herzustellen, habe an Zuspruch und das Kinogewerbe so an Renommee gewonnen, sagt Adrian Gerber. Nicht zuletzt auch in Kreisen der Bildungsbürger, die dem Kino zuvor sehr kritisch gegenübergestanden hatten.