Von der Corona-Krise sind auch Psychiater oder Psychotherapeutinnen und ihre Klienten betroffen. Viele führen die Therapie per Video-Chat weiter.
Digitalisierung der Therapie
In den letzten Jahren entstanden neue Formen der Therapie, die digitale Hilfsmittel wie zum Beispiel Apps oder Webseiten nutzen. Solche Therapien hätten sich bewährt, sagt Thomas Berger, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Bern. Er forscht seit mehr als 15 Jahren zur Wirksamkeit von Psychotherapien, auch zu digitalen Selbsthilfe-Tools.
Viele dieser Hilfsmittel basieren auf der Kognitiven Verhaltenstherapie. Der Patient lernt, sich zu beobachten mit dem Ziel, etablierte Muster zu erkennen und zu überwinden. Digitale Hilfsmittel wie etwa Apps vermitteln den Hilfesuchenden Informationen und Übungen.
Wissenschaftler der Uni Bern haben mit Hermes ein Internet-basiertes Therapie-Angebot entwickelt, das bei depressiven Verstimmungen helfen und das psychische Wohlbefinden verbessern soll. Die Wirksamkeit wird zurzeit im Rahmen einer Studie evaluiert, eine Teilnahme ist kostenlos.
Therapien mit digitalen Hilfsmitteln haben viele Vorteile:
- Sie sind wirksam bei den häufigsten Krankheiten wie Angststörungen oder Depressionen
- Sie erreichen Menschen, für die der Gang zu einer Therapeutin eine unüberwindbare Hürde darstellt.
- Sie erreichen Hilfesuchende schnell, Wartezeiten entfallen.
Nicht angebracht sind digitale Hilfsmittel bei akuten Krisen, etwa wenn jemand Suizidgedanken hat.
Therapeuten nicht überflüssig
Trotz der nachgewiesenen Wirkung ersetzten digitale Tools die Therapeutin nicht, sagt Thomas Berger. Die Erfahrung zeige, dass ohne Kontakt zu einem Therapeuten eine grosse Zahl der Hilfesuchenden die Therapie mit einer App wieder abbricht. Ganz anders sieht es aus, wenn Hilfesuchende regelmässig mit einem Therapeuten in Kontakt bleiben, zum Beispiel über Textnachrichten wie E-Mail oder Chat.
Digitale Hilfsmittel lassen sich auch gut mit konventionellen Therapie-Sitzungen kombinieren: Reduziert man die Anzahl der Sitzungen und nutzt zusätzlich eine App, so bleibt die Wirkung die gleiche wie bei der konventionellen Therapie mit häufigeren Sitzungen.
«Die beste Wirkung erzielt man, wenn man die Zahl der Sitzungen beibehält und zusätzlich noch digitale Hilfsmittel verwendet», so Thomas Berger. Er hofft, dass die Apps in Zukunft zu Steigerung der Effizienz genutzt werden und nicht, um Kosten zu sparen.
Zertifizierung für Therapie-Apps obligatorisch
Doch Achtung: Nicht hinter jeder App, die Hilfe verspricht, steckt ein professionelles Therapie-Angebot. Die Beurteilung, was serös ist und was nicht, sei für Hilfesuchende nicht einfach, sagt Thomas Berger. Man solle darauf achten, wer hinter einem digitalen Angebot stehe, ob die Macher über eine psychologische oder psychiatrische Weiterbildung verfügen und ob das Angebot wissenschaftlich auf Wirksamkeit überprüft wurde. Informationen zu Online Therapie-Angebote findet man auf der Webseite der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen.
Auch die Behörden haben reagiert: Ab kommendem Mai gelten in der Schweiz und in der EU viele dieser Therapie-Apps als medizinisches Produkt und dürfen ohne Zertifizierung nicht angeboten werden.