Seit kurzem gibt es Hoffnung für Kinder mit dem Gendefekt namens Ektodermale Dysplasie. Betroffene haben kaum Haare, ihnen fehlen Zähne und Schweissdrüsen. Dass sie nicht schwitzen können, ist besonders im Sommer ein Problem: Ihr Körper kann sich nicht abkühlen. Das ist zwar nicht lebensbedrohlich, schränkt aber ein.
Um diesen sogenannten Vampirkindern zu helfen, haben Forscher nun ein neues Verfahren entwickelt: Sie spritzen ein Protein in die Gebärmutter, welches das Ungeborene schlucken wird.
Die drei erstmals behandelten Kinder bildeten danach tatsächlich Schweissdrüsen und entwickelten auch mehr Zähne. Etabliert ist die Methode noch nicht, es handelt sich erst um klinische Studien.
Durchbohren der Fruchtblase birgt Risiko
Eingriffe an der Gebärmutter sind für den Fötus nicht ungefährlich. Das Durchdringen der Fruchtblase kann Mechanismen, wie etwa Entzündungen in Gang setzten, die eine Frühgeburt oder einen Blasensprung auslösen.
Genau das ist bei zwei behandelten Zwillingen geschehen. Sie sind zwei Wochen nach der letzten Spritze als Frühchen zur Welt gekommen. «Das könnte die Folge der Behandlung gewesen sein», sagt Daniel Surbek, Gynäkologe und Chefarzt am Inselspital in Bern.
Operation bei Fehlbildungen
Auch er therapiert Kinder bereits im Mutterleib – allerdings nicht, um sie vor einem Genfehler zu schützen. Surbeks Patienten sind Embryos mit verschiedenen Entwicklungsstörungen.
Er und sein Team erweitern verengte Herzklappen, legen Katheter in zugewachsene Harnröhren oder entfernen bösartige Tumore bei Föten, die sonst sterben würden.
Zwillinge ungleich mit Blut versorgt
Das gynäkologische Zentrum, das Daniel Surbek leitet, hat sich auf die häufigste Operation an Ungeborenen spezialisiert: auf Kreislauftrennungen bei Zwillingen.
Teilen sich eineiige Zwillinge die Plazenta, sind ihre Blutkreisläufe verbunden. In manchen Fällen kann die Blutzirkulation aus dem Gleichgewicht geraten: ein Kind ist dann chronisch überversorgt und das andere unterversorgt. Dies kann für beide Föten gefährlich werden.
Dank einer endoskopischen Operation durch die Bauchdecke hindurch kann Daniel Surbek mit einem Laser die unnötigen Blutverbindungen verschweissen. Die Überlebenschancen beider Kinder steigt von 10 auf über 70 Prozent.
Umstrittener Eingriff
Rund 30 solcher Eingriffe macht das Inselspital Bern pro Jahr. Die Operation ist gut etabliert und Studien zeigen, sie bringt einen klaren Nutzen – und sind daher breit akzeptiert.
Kontrovers diskutiert ist besonders eine Operation: die am offenen Rücken. Bei dieser Fehlbildung verschliesst sich das Rückenmark nicht richtig. Das führt zu schweren körperlichen und geistigen Behinderungen.
Das Problem mit der Operation: «Es gibt nur eine einzige Studie dazu», sagt Daniel Surbek. «Ausserdem kann man mit der Operation allenfalls die Prognose etwas verbessern - das Kind bleibt in der Regel krank.»
Psychische Belastung ist enorm
Für werdende Mütter sei die Diagnose offener Rücken derart belastend, dass sich etwa zwischen 80 und 90 Prozent einen Abbruch der Schwangerschaft wünschen.
Zum Zeitpunkt, in dem ein offener Rücken im Ultraschall sichtbar wird, ist nur mit der Einwilligung eines Arztes eine Abtreibung möglich.
«Ein Schwangerschaftsabbruch oder der Tod eines Kindes, das sind Situationen, die für die Frau und aber auch für das Behandlungsteam belastend sind», sagt Surbek.
Schmaler Grat zwischen Leben und Tod
An einen Fall kann Daniel Surbek sich noch gut erinnern: «Der Fötus hatte ganz früh in der Schwangerschaft einen grossen Tumor im Brustkorb. Eigentlich gab es kaum Überlebenschancen.» Mit einer Operation im Mutterleib konnte er gemeinsam mit seinem Team den der Tumor erfolgreich behandeln.
Was später aus den Kindern wird, erfährt er, falls er die Mutter in der Gynäkologie weiter betreut. Manchmal erhält er aber auch zu Weihnachten Karten von dankbaren Eltern, die stolz zeigen, wie gut sich ihr Kind entwickelt. Der Junge mit dem Tumor ist heute zwei Jahre alt und kerngesund.