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Schönheitsoperationen Eine Standard-Vulva gibt es nicht

Wenn Frau wissen möchte, wie sie «da unten» aussieht, braucht es einen Spiegel und viele Verrenkungen. Immer häufiger gefällt den Frauen aber offenbar nicht, was sie sehen.

Heute sprechen Frau und Mann offen über Sex. Lust und Körper scheinen immer weniger ein Tabuthema zu sein. Und doch scheint es noch eine Tabuzone zu geben: den Intimbereich der Frau. Nicht nur wissen die meisten nicht, wie das Äussere der Frau «da unten» wirklich heisst, auch das Schönheitsideal hat mit der Realität meist wenig zu tun. Immer mehr Frauen wollen ihren Intimbereich verschönern – Vulva-Schönheitsoperationen liegen im Trend.

«Vulva? Noch nie gehört.»

Eine Umfrage im Einkaufszentrum. Wir fragen: «Wie heisst das weibliche äussere Geschlechtsorgan?» Eine Gruppe von Jungs lacht. Ein anderer Passant rät: «Ich glaube Klitoris, oder?» «Wir sprechen vom Fützli oder vom Schlitz.» Unsere Antwort: «Bei den Frauen heisst das Vulva.» «Vulva? Noch nie gehört.»

Das Hadern mit dem Namen – ein Männerproblem? «Nein», sagt Gynäkologe Andreas Günthert aus Luzern. Er hat über 600 Frauen befragt. Das Ergebnis: Bei Frauen zwischen 15 und 24 Jahren wussten noch 40 Prozent, dass ihr äusseres Geschlechtsorgan Vulva heisst. Doch je älter die Frauen wurden, desto weniger häufig nannten sie den Begriff.

Die Vulva – damit sind Klitoris, äussere und innere Schamlippen gemeint. Weniger klar definiert ist jedoch das Aussehen einer «normalen Vulva». Andreas Günthert hat die 600 Frauen für seine Studie nämlich nicht nur befragt, sondern auch vermessen. Das Ergebnis: Vielfalt und Veränderung. «Die Asymmetrie und Variationsbreite sind viel grösser als angenommen.»

Was ist eine «schöne Vulva»?

Trotzdem: Bilder von Vulven in Pornos oder Aufklärungsbüchern geben ein klares Bild einer «schönen Vulva» vor. Diese zeichnet sich zum Beispiel durch kleine, innere Schamlippen aus. Für den Gynäkologen ist das aber kaum der Normalbefund: «Eine Vulva, die gar keine kleinen Schamlippen und auch keine erkennbare Vorhaut hat, ist für mich als Mediziner zunächst suspekt.»

Dass die Vulva und ihre Vielfalt für Frauen und Männer immer noch Tabuthema bleibt, liegt auch an fehlender Aufklärung, so die Psychotherapeutin und Sexologin Dania Schiftan.

Eigentlich könne man schon mit Kindern darüber reden: «Wir bringen den Kindern bei, was Hände und Füsse sind. Warum dürfen sie nicht auch wissen, was für ein Geschlecht sie haben?» Dabei gehe es überhaupt nicht um Sexualisierung: «Es schützt, macht vertraut mit dem Körper. Und je vertrauter man ist, desto wohler und sicherer fühlt man sich.»

«Da kursieren so viele schräge Bilder zu diesem Thema»

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Zwei Frauen stehen am Stehpult, diskutieren.
Legende: SRF

Daniela Lager sprach im «Puls»-Studio mit Dania Schiftan, Psychotherapeutin, Sexologin und Autorin.

SRF: Wir haben schon ein Bild im Kopf wie eine schöne Vulva aussehen sollte. Woher kommt das? Die Porno-Industrie wurde angesprochen. Ist das so?

Dania Schiftan: Absolut. Die Porno-Industrie ist das Eine. Doch was ich auch interessant finde: Haben wir überhaupt ein Bild im Kopf, was eine Vulva ist. Wir haben es bei der Umfrage gesehen: Viele haben das noch nie gehört. Das ist automatisch ein Thema, für das man sich schämen muss. Wir sprechen von «Schamlippen», grossen und kleinen Lippen. Da kursieren so viele schräge Bilder zu diesem Thema. Es ist klar, dass man daran etwas ändern muss.

Aber wir haben doch noch nie so unverkrampft über Sex diskutiert, darüber gehört, als in der heutigen Zeit?

Das meint man. Aber wirklich darüber sprechen, das macht man nicht. Man klärt die Kleinen nicht auf, was ein guter, gesunder und schöner Körper ist und wie vielfältig dieser ist. Über die Fleischlichkeit, die Lust, die Erregung, die Körpersäfte, die wir haben; das ist alles abzulegen, wegzumachen, «wegzuduften» weil es nicht gut sein soll.

Wo und wann soll die Aufklärung darüber stattfinden? Bei Mädchen oder auch bei Jungs?

Aus meiner Sicht kann das ab Geburt passieren. Wir bringen den Kindern bei, was Hände und Füsse sind. Warum dürfen sie nicht auch wissen, was für ein Geschlecht sie haben? Entgegen dem, was man denkt – dass es sexualisiert – macht es nämlich das Gegenteil. Es schützt, macht vertraut mit dem Körper. Und je vertrauter man ist, desto wohler und sicherer fühlt man sich. Je früher man beginnt, darüber zu sprechen. Desto weniger entsteht das Gefühl, mit dem eigenen Körper sei etwas falsch.

Heute wollen immer mehr Frauen ihre Intimzone verschönern. Vulven-Operationen haben in den letzten Jahren zugenommen.

Einigen Frauen geht es dabei nicht nur um ästhetische, sondern auch um praktische Gründe. Alexandra Bachmann hat sich die inneren Schamlippen vor vier Jahren verkleinern lassen. «Sie haben mich beim Sport gestört, beim Geschlechtsverkehr hatte ich zum Teil Schmerzen.»

Doch bei den meisten Operationen steht der ästhetische Aspekt im Vordergrund. Dorrit Winterholer führte im letzten Jahr knapp 50 solcher Operationen durch. Nachfrage steigend. «Das Thema ist im Zeitalter von Social Media sehr präsent. Wegen Medien, Pornografie und so weiter hat das natürlich extrem zugenommen.»

Auch würden die Frauen untereinander mehr darüber sprechen, die Frauen seien selbstbestimmter geworden.

Eine Frau, die anonym bleiben möchte, hat bei einer Freundin vom Eingriff gehört. Das Ergebnis habe sie überzeugt. Sie lässt sich ihre Vulva nun schon zum zweiten Mal operieren.

Es muss für mich einfach zusammenpassen, das Gesamtbild. Ich freue mich, wenn ich gut aussehe.
Autor: Anonym

Der ästhetische Chirurg Jürg Häcki führt den zweiten Eingriff bei ihr durch. In dieser Operation trägt er die Haut um die Klitoris ab. «Die ganze Haut kann man nach unten spannen und reduzieren.»

Jürg Häcki führt jährlich über 100 solcher Operationen in seiner Klinik durch. Akzeptieren sich die Frauen nicht zu wenig? «Man muss auch akzeptieren, wenn man sich nicht wohlfühlt. Man hat das Recht, etwas dagegen zu machen.»

Für die Psychotherapeutin und Sexologin Dania Schiftan steht fest: Solche Operationen machen die meisten Frauen für andere, nicht für sich selbst: «Das eigene Selbstbewusstsein sinkt, weil man denkt, es gefällt dem anderen nicht.»

Ob für sich oder für die anderen. Klar ist, dass sich immer mehr Frauen für ihr Schönheitsideal einer Vulva unters Messer legen. Ein Ausdruck der selbstbestimmten Frau oder eine negative Folge des Tabuthemas Vulva?

Puls, 08.03.2021, 21:05 Uhr

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