Schweizer Frauenorganisationen streiten derzeit darüber, ob Prostitution normal ist. Auslöser ist eine Kampagne der Frauenzentrale Zürich. Sie findet: Prostitution macht aus Frauen ein Konsumgut. Über ein Verbot müsse man zumindest nachdenken. Andere Frauenorganisationen protestieren: Durch diese Haltung würden Sex-Arbeiterinnen erst recht stigmatisiert.
In Schweden ist Prostitution seit zwanzig Jahren verboten. Die Sexarbeit habe sich aber einfach von der Strasse weg in andere Bereiche verlagert, sagt Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann.
SRF News: Welche Auswirkungen hat das schwedische Prostitutionsverbot gehabt?
Bruno Kaufmann: Einerseits ist die offene Prostitution aus der Öffentlichkeit verschwunden. Es gibt keine Strassenstriche oder Inserate für Bordelle mehr. Andererseits hat ein Umdenken stattgefunden. Das Freier-Verbot, das vor zwanzig Jahren sehr umstritten war in der politischen Debatte, ist heute unbestritten.
Prostitution mag von der Strasse verschwunden sein. Sie findet aber wahrscheinlich nach wie vor statt. Wie muss man sich das vorstellen?
Durch das Internet und neue Formen der Kommunikation existiert Prostitution im Verborgenen sehr wohl. Zudem wandern sehr viele Freier einfach ins nahe Ausland ab, nach Dänemark, Deutschland oder auch ins Baltikum. Das Verbot hat also zu Sextourimus geführt.
Es gibt heute Prostitution. Aber dort, wo sie stattfindet, ist es für die Frauen gefährlicher geworden.
Was bedeutet Prostitution im Verborgenen für den Schutz der Frauen?
Das ist natürlich ein grosses Problem. Mit dem Verbot hat man versucht, nicht die Anbieterinnen von Sex zu stigmatisieren. Stattdessen hat man die Freier kriminalisiert. Dies hat allerdings dazu geführt, dass sich die Anbieterinnen ins Verborgene zurückziehen mussten, wo sie weniger Schutz geniessen.
Nun gilt das schwedische Modell als mögliches Mittel, Menschenhandel zu bekämpfen. Stimmt das wirklich?
Ja und Nein. Es hat ein Umdenken in dem Sinn stattgefunden, dass sexuelle Gewalt viel weniger akzeptiert ist. Auch unter jungen Menschen in Schweden ist es viel weniger akzeptabel für Sex zu bezahlen, als es früher war. Allerdings ist es ein grosses Problem, dass es dort, wo Prostitution immer noch stattfindet, auch andere Formen der Kriminalität gibt.
Es lässt sich nicht einfach sagen, diese oder jene Lösung ist die beste.
Dort ist der Menschenhandel noch weit brutaler. Ich würde sagen: Es gibt heute Prostitution. Aber dort, wo sie stattfindet, ist es für die Frauen gefährlicher geworden.
Mit ihrer Kampagne argumentiert die Frauenzentrale Zürich, dass die Frauen in der Schweiz, wo Prostitution legal ist, oft in prekären Verhältnissen leben müssten und schutzlos seien. In Schweden ist das aber offenbar nicht anders, obwohl Prostitution verboten ist?
Das ist sicher so. Es geht allerdings auch darum, wie umfassend dieser Menschenhandel ist – und in Schweden sind tatsächlich viel weniger Frauen betroffen. Die Polizei bestätigt, dass es viel weniger Fälle als früher gibt. Die verbliebenen Fälle sind aber problematischer. Es lässt sich also nicht einfach sagen, diese oder jene Lösung ist die beste.
Sex gegen Geld ist heute in Schweden nicht mehr so akzeptiert wie vor dem Verbot. Wird das Thema heute überhaupt noch diskutiert?
Nein. Dass das Verbot heute unumstritten ist, werten viele als Erfolg. Es gibt keine politischen Kräfte, die sich für eine Liberalisierung der Prostitution einsetzen. Die Kehrseite ist allerdings, dass die Probleme, die es weiterhin gibt, kaum diskutiert werden. Die Prostituierten haben damit keine Stimme.
Das Gespräch führte Roger Aebli.