Rund 80 Leute arbeiten gegenwärtig auf der Baustelle Notre-Dame – und sie alle müssen sich täglich mehrmals einer Prozedur unterziehen, die Dom-Dekan Patrick Chauvet plastisch schildert: «Wer die Baustelle betritt, muss die Kleider wechseln. Am Ende müssen sich alle erneut umziehen und duschen. Damit gesichert ist, dass keine Blei-Partikel über die Kleider aus der Baustelle gelangen.»
Das Blei vom Dach der Kathedrale erschwert die Abklärungen auf der Baustelle. 500 Tonnen sind beim Brand geschmolzen, sie haben sich in Partikel aufgelöst. Diese setzen sich nicht nur in den Ruinen fest. Sie haben sich auch in den umliegenden Quartieren ausgebreitet, wo bei Anwohnern bald darauf erhöhte Bleiwerte im Blut gemessen wurden.
Erschwerte Renovationsarbeiten
Trotzdem wurden auf der Baustelle die Räumungsarbeiten ohne Schutzmasken fortgesetzt. Bis die Arbeitsinspektion feststellte, dass die Bleikonzentration den Grenzwert um das über 400-fache überschritten hatte.
Die Arbeiten auf dem Brandplatz Notre-Dame wurden im Sommer für zwei Wochen unterbrochen. Ein spezialisiertes Unternehmen erhielt den Auftrag, die Umgebung der Kathedrale vom Blei zu reinigen. Auch auf der Baustelle wird seither nur noch mit speziellen Anzügen und Schutzmasken gearbeitet.
Blei-Partikel belasten auch den Vorplatz von Notre-Dame, der grossräumig abgesperrt ist. Dom-Dekan Chauvet möchte ihn so schnell wie möglich wieder öffnen: Er soll wieder zum Treffpunkt für Touristen und Pilger werden.
Komplizierte Bauarbeiten
Der Vorsteher der Kathedrale von Paris möchte ein Zelt mit einer Kopie der Statue von Namensgeberin Notre-Dame aufstellen. Das Original aus dem 14. Jahrhundert steht zur Zeit in der Kirche Saint-Germain l'Auxerrois, die auch als Ersatz für die Gottesdienste von Notre-Dame benutzt wird.
Auch die Fassade der Kathedrale möchte Dom-Dekan Chauvet so schnell wie möglich wieder beleuchten lassen, sobald der Platz vor der Kirche wieder öffentlich zugänglich ist: «Wenn die Fassade wieder sichtbar wird, ist dies ein Zeichen, dass das Leben weitergeht.» Wie der Zustand der Bauten dahinter ist, wissen die Baumeister noch immer nicht. Die Sicherung der Mauern steht weiterhin im Vordergrund.
Die meisten Strebebögen sind inzwischen durch Stützen aus Holz gesichert. Doch weil das Dach verbrannt ist, sind die Mauern Wind und Wetter ausgesetzt. Es braucht darum ein neues Dach über der Baustelle, wo immer noch das Gerüst steht, das für die Renovationsarbeiten vor dem Brandausbruch aufgebaut worden ist.
Nun wird das Gerüst zum Sicherheitsrisiko. Sollte es bei einem Wintersturm einstürzen, könnte dies die Mauern schwer beschädigen. Er hoffe, sagt Dom-Dekan Chauvet, die Sicherung der Kathedrale sei bis März 2020 abgeschlossen sei.
Wackliger Zeitplan
Im nächsten Jahr soll auch ein Architekturwettbewerb stattfinden. Im Zentrum der Flèche, der Mittelturm, den Architekt Viollet-Le-Duc bei der Renovation im 19. Jahrhundert aufs Dach von Notre-Dame gesetzt hatte. Die Frage, ob dieser Turm in bisheriger Form erstehen, oder einen neuen Akzent setzen soll, ist bereits seit der Brandnacht Thema einer heftigen Kontroverse.
Nun wird sie auch zum Kriterium für den Zeitplan: «Werden die Pläne Viollet-Le-Ducs unverändert übernommen, sei der Wideraufbau innert fünf Jahren noch immer realistisch, sagt der Chefarchitekt von Notre Dame. Wird der Mittelturm neu gestaltet – dann wohl nicht.