Krisen und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen die Sprache und den Sprachgebrauch. Dies zeigt sich in der Coronakrise deutlich. Begriffe wie der Anglizismus Lockdown sind in kürzester Zeit in die Alltagssprache eingegangen. Wie schnell sich neue Wörter oder neue Bedeutungen etabliert haben, hat auch die Chefredaktorin des Dudens, Kathrin Kunkel-Razum, überrascht.
SRF News: Haben Sie schon eine vergleichbare Situation erlebt?
Ich kann mich an eine solche Zeit nicht erinnern, und ich kenne das auch nicht aus der Geschichte des Dudens. Wir haben es mit einem Geschehen zu tun, das innerhalb sehr kurzer Zeit unseren Sprachgebrauch prägt.
Sind Krisen Taktgeber für den Duden, neue Worte aufzunehmen?
Ja, selbstverständlich, das kommt schon vor. Aber es ist eine besondere Krise, die sich weltweit auswirkt. Sie ist innerhalb kürzester Zeit zu einem Thema geworden, das viele Bereiche berührt: das tägliche Leben, den Gesundheitszustand, die Gesundheitsversorgung, die Grundrechte und viele mehr.
Wie hat sich der Corona-Wortschatz in den letzten drei Monaten konkret verändert?
Wir haben feststellen können, dass eine ganze Reihe von Wörtern, die inzwischen sehr stark verwendet werden, längst im Duden verzeichnet sind. Es sind keine neuen Wörter, aber sie sind vorher nicht in dieser Frequenz benutzt worden. Dazu gehören fachsprachlich Wörter wie die Triage, Epidemie, Pandemie und Übersterblichkeit.
Komposita – zusammengesetzte Substantive, die mit Corona beginnen – gibt es in grosser Fülle.
Auch der Begriff Coronavirus steht schon seit einigen Jahren im Duden, er ist durch die Sars-Epidemie aufgenommen worden. Und dann gibt es neu entstandene Wörter. Man sieht sehr schön, wie produktiv das deutsche Wortbildungssysteme ist. Komposita – zusammengesetzte Substantive, die mit Corona beginnen – gibt es in grosser Fülle. Ich nenne nur mal die Corona-Party, die die Corona-Frisur, die Corona-Ferien. Und dann kommen die Anglizismen Lockdown, Shutdown, Social Distancing dazu.
Über welche neuen Worte, die bislang nicht im Duden vermerkt wurden, diskutieren Sie derzeit besonders intensiv?
Das sind Vertreter der beiden letztgenannten Gruppen. Es geht auch darum, eine Auswahl zu treffen. Aus den genannten Komposita wie Corona-Baby oder Corona-Frisur würde man in einen gedruckten Duden nur einige aufnehmen, weil das Wortbildungsmuster sehr leicht zu durchschauen ist.
Aber die Leute haben ein Bedürfnis zum Nachschlagen.
Nach welchen Kriterien werden Wörter in den Duden aufgenommen?
Es gibt allgemeine Kriterien. Wir haben das Dudenkorpus, eine grosse Sammlung elektronischer Texte, die aktuell 5,6 Milliarden laufende Wortformen verzeichne. Wir durchforsten diese Sammlung mit computerlinguistischen Mitteln nach neuen Wörtern. Wir prüfen: In welchen Textsorten tritt dieses Wort auf? Wie häufig? Offenbart es Rechtschreibschwierigkeiten?
Wichtig ist an und für sich, dass es über einen längeren Zeitraum vertreten ist. In Corona-Zeiten ist das schwierig, weil wir noch keinen langen Zeitraum haben. Aber die Leute haben ein Bedürfnis zum Nachschlagen. Deshalb steht beispielsweise Covid-19 jetzt schon auf Duden online.
Die Corona-Pandemie wird als folgenschwere Krise in die Geschichte eingehen. Welche Spuren wird sie in der deutschen Sprache hinterlassen?
Sie bewirkt die stärkere Nutzung von Wörtern, die schon länger existieren, aber sonst nicht häufig gebraucht werden und auch die stärkere Realisierung von bestimmten Bedeutungen, Maske im Sinne von Atemschutzmaske zum Beispiel. Und man wird sehen, wie lange der starke Zuwachs an Wörtern überlebt.
Das Gespräch führte Silvan Zemp.