Seit Jahren macht der Tierpark Dählhölzli in Bern mit dem Slogan «Mehr Platz für weniger Tiere» Werbung. Ob Bären, Steinböcke oder Moschusochsen: Tatsächlich können Besucherinnen und Besucher Tiere beobachten, die in ihren Gehegen auch mal einen Sprint hinlegen können.
Anders sieht es bei den Vögeln aus. So etwa bei den Alpenkrähen: In der freien Natur sind sie veritable Flugkünstler, im Sturzflug erreichen sie bis zu 100 Stundenkilometer. Im Berner Dählhölzli leben sie nahe dem Haupteingang in einer alten Voliere, die etwa 12 Meter lang und drei Meter hoch ist. Kaum abgehoben, müssen die von Hand aufgezogenen Raben mit den charakteristischen orangen Schnäbeln in diesem Gehege wieder landen.
Als Besucherin kann man sich in Zeiten zurückversetzt fühlen, als Raubkatzen in Schweizer Zoos auf engstem Raum ihre Kreise drehten. Sind flugfähige Vögel wie die Alpenkrähen also die Tiger der 2020er-Jahre?
Tierschutz übt Kritik
Samuel Furrer vom Schweizer Tierschutz sieht die enge Verhältnisse für Alpenkrähen kritisch. «Gerade für diese sehr guten Flieger wäre es wichtig, dass sie ihr Flugverhalten auch ausleben können.» Anderswo sei dies möglich: Als positives Beispiel nennt er den Tierpark La Garenne im Kanton Waadt. Dort leben Wildvögel zusammen mit Steinböcken und Murmeltieren in einer Anlage, die 50 Meter lang und 25 Meter hoch ist.
Den Alpenkrähen im Dählhölzli gehe es gut, sagt Meret Huwiler, Kuratorin im Tierpark Bern. Die Grösse der Volieren sei nicht das einzige wichtige Kriterium. Es komme darauf an, wie diese eingerichtet seien. Sie macht einen Vergleich: «Es bringt nichts, wenn man eine ganze Turnhalle hat, ohne dass Turngeräte darin stehen.»
Es bringt nichts, wenn man eine ganze Turnhalle hat, ohne dass Turngeräte darin stehen.
Wichtig sei etwa, dass die Alpenkrähen ihr tägliches Futter – wie Mehlwürmer oder Heuschrecken – selbst jagen könnten. Auch Maden aus morschen Holzstücken reissen, sei für sie eine attraktive Beschäftigung.
Rabenforscher sagt, was Krähen wirklich brauchen
Thomas Bugnyar von der Universität Wien ist der wohl bekannteste Rabenforscher in Europa. Er studiert seit Jahren das Verhalten von Rabenvögeln. «Man kann nicht wegleugnen, dass Volieren im Vergleich zu den Verhältnissen in der Natur lächerlich klein sind», sagt er, der selbst Raben hält.
Wichtig sei, dass die Vogel-Gehege gut strukturiert seien. «Krähen brauchen viel Ruhe», sagt Bugnyar zu Radio SRF. Es sei darum zentral, dass die Rabenvögel in Teilen der Volieren den Blicken der Besucherinnen aus dem Weg gehen könnten. Ob die Krähen wegen der kleinen Gehege litten, könne man nicht allgemein sagen. «Es kommt darauf an, welche Umgebung sie sich gewöhnt sind.»
Man kann nicht wegleugnen, dass Volieren im Vergleich zu den Verhältnissen in der Natur lächerlich klein sind.
Tierpark mit Vorbildfunktion
Ein grosser Tierpark wie das Dählhölzli habe auch eine Vorbildfunktion, sagt Furrer vom Schweizer Tierschutz weiter. Kuratorin Huwiler bejaht dies. Sagt aber: «Wir können nicht ganz Bern überdecken, um ein paar Vogelarten zu halten. Wir müssen effizient mit den Platzverhältnissen umgehen.»
Im Berner Dählhölzli lebte übrigens bis vor kurzem ein weiters Alpen-Krähenpaar in der neuen Voliere in der grossen Steinbock-Anlage am Aarehang. Die beiden wurden aber laut Tierpark von einem marderähnlichen Tier gefressen. Ob wieder neue Raben angesiedelt werden, sei noch unklar.