Twitter hat sich erlaubt, erstmals einen Tweet von US-Präsident Donald Trump mit einem Label zu versehen. Der Link führte auf eine Seite, auf der seine Aussage einem Faktencheck unterworfen wurde. Ob dies eine Änderung der Praxis bei Twitter bedeute, sei offen, sagt Digitalredaktor Tschirren.
SRF News: Twitter steht schon lange in der Kritik, weil es Falschaussagen von Donald Trump unkommentiert stehen lässt. Wieso jetzt diese plötzliche Kehrtwende?
Jürg Tschirren: Warum das ausgerechnet jetzt passiert ist, ist nicht ganz klar. Die «New York Times» beruft sich auf eine Person mit Insiderwissen. Diese habe gesagt, Trumps Behauptungen zur Briefwahl könnten Wähler verwirren, deshalb die Korrektur. Mit dieser Begründung hätte Twitter allerdings auch schon frühere Tweets von Präsident Trump entsprechend kennzeichnen können.
Twitter löscht fragwürdige Tweets nicht, sondern versieht sie mit einem «Label». Wie erfolgversprechend ist diese Strategie?
Twitter und andere soziale Medien wie etwa Facebook befinden sich in einer sehr unangenehmen Lage: Wenn sie nichts tun, werden sie kritisiert, dass sie helfen, Falschinformationen zu verbreiten. Wenn sie doch etwas machen, kommt von anderer Seite der Vorwurf der Zensur.
Es zeichnet sich noch keine klare Linie ab, wie Twitter oder Facebook mit fragwürdigen Inhalten von prominenten oder einflussreichen Personen umgehen wollen.
Twitter & Co. haben sich deshalb lange auf Standpunkt gestellt, dass sie nicht für die Inhalte auf ihren Plattformen verantwortlich seien. Das scheint sich jetzt zu ändern. Doch es zeichnet sich noch keine klare Linie ab, wie genau sie mit solchen Inhalten – gerade von prominenten und einflussreichen Personen – umgehen wollen.
Trump twittert regelmässig falsche Aussagen. Gegenwärtig insinuiert er, dass ein konservativer Fernsehmoderator ein Mörder sein könnte. Wird Twitter künftig noch mehr seiner Tweets markieren müssen?
Twitter stellt sich beim Fall der Mordverdächtigungen Trumps auf den Standpunkt, der Präsident verstosse in diesem Fall nicht gegen die Twitter-Richtlinien. Die Frage stellt sich also, ob der Fall mit dem Briefwahl-Tweet so etwas wie ein Warnschuss ist, oder ob er tatsächlich eine Richtungsänderung anzeigt. Die Frage ist auch, ob es gut ist, wenn sich eine kommerzielle Plattform wie Twitter zu einem Faktenchecker aufschwingt.
Das Faktenchecken ist für die sozialen Netzwerke eine unmögliche Aufgabe.
Wie aufwendig ist das Faktencheck-System bei Twitter?
Pro Tag werden rund eine halbe Milliarde Tweets abgesetzt. Da ist es unmöglich, die alle manuell durchzusehen. Um öffentliche Figuren wie Trump wird sich aber wohl schon noch ein Mensch kümmern. Doch insgesamt ist das Faktenchecken für die sozialen Netzwerke eigentlich eine unmögliche Aufgabe, denn automatisierte Systeme arbeiten viel zu ungenau.
Gibt es solche Faktenchecks ausser in den USA auch in anderen Ländern?
Bei ausländischen politischen Figuren geht Twitter sogar strenger vor als bei Trump. So wurden kürzlich zwei Tweets der Präsidenten von Brasilien und Venezuela – Jair Bolsonaro und Nicolas Maduro – gelöscht. Beide hatten vermeintliche Heilmittel gegen das Coronavirus angepriesen.
Die Frage, ob etwas wahr oder falsch ist, lässt sich oft nicht abschliessend beantworten.
Ein Tweet von Trump dagegen wurde noch nie gelöscht. Die Probleme allerdings, die sich beim Faktencheck stellen, sind dieselben – ob in den USA oder andernorts: Die Frage, ob etwas wahr oder falsch ist, ist in vielen Fällen sehr komplex. Oft lässt sie sich nicht abschliessend beantworten. Besser wäre es sowieso, darauf hinzuwirken, dass eine aufgeklärte Öffentlichkeit selber über diese Fragen entscheiden kann.
Das Gespräch führte Roger Aebli.