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Umgang mit der Kälte «Bei uns in Moskau ist es warm, nur -17 Grad»

SRF-Korrespondent Christof Franzen sagt, wie sich wirkliche Kälte anfühlt – und warum Russen Eisbäder nehmen.

SRF News: Bei uns in der Schweiz ist es kalt, minus 6 Grad.

Christof Franzen: Und deshalb macht ihr einen Bericht? Hier in Moskau ist es für die Jahreszeit warm, nur minus 17 Grad tagsüber, in der Nacht minus 24. Eine Kleinigkeit. Wirklich kalt wäre es hier, wenn die Temperaturen am Tag gegen minus 30 Grad sinken.

Wie fühlt sich minus 30 Grad an?

Ich war vor Weihnachten auf der Halbinsel Jamal, 500 Kilometer nördlich vom Polarkreis, direkt am Eismeer. Da war es gegen minus 30 Grad. Das war wirklich kalt, weil es auch noch feucht war. Ich war zwar warm angezogen, aber ich spürte die kalte Luft in der Lunge. Es ist ein Gefühl, als ob die Kälte sich von der Lunge her im Körper ausbreiten würde. Auch die Nasenlöcher frieren vom Atmen ein. Wir konnten jeweils nicht lange filmen, die Kameraleute spürten ihre Hände schnell nicht mehr.

SRF-Korrespondent in Russland, Christof Franzen, beim Dreh auf Jamal, 500 Kilometer nördlich vom Polarkreis.
Legende: SRF-Korrespondent in Russland, Christof Franzen, beim Dreh auf Jamal, 500 Kilometer nördlich vom Polarkreis. SRF

Ab welchen Temperaturen trägt man in Russland einen Wintermantel?

Manche Frauen nehmen die Pelzmäntel gerne so schnell wie möglich heraus, schon bei wenigen Graden unter null. Sie zeigen ihre Pelze gerne, es ist ein Statussymbol. Darunter tragen sie dann aber gerne Röcke oder gar Mini-Röcke. Die Hemmschwelle, Röcke nicht mehr zu tragen, geht tief in die Minustemperaturen, bis minus 20 Grad und tiefer.

Und dann gibt es hier die Walenki, die traditionellen Filzstiefel. Die Leute binden Tücher und Zeitungen um die Füsse. In diese Stiefel kann man viel stopfen, es gibt viel Platz darin.

Die Russen haben aber sicher praktische Kleidungsstücke gegen die Kälte?

Warischki, Uschanka und Walenki sag ich da nur. Die Warischki sind grosse dicke Fausthandschuhe. Oder die Uschanka, das sind die Pelzmützen, bei denen man die Lappen herunterlassen und die Ohren bedecken kann. So ähnliche hatten wir früher im Militär auch. Und dann gibt es hier die Walenki, die traditionellen Filzstiefel. Die Leute binden Tücher und Zeitungen um die Füsse. In diese Stiefel kann man viel stopfen, es gibt viel Platz darin.

Gibt’s für die Arbeiter auf dem Bau eine Frostgrenze?

Das kommt auf Ort und Projekt an. Wenn ich heute aus dem Bürofenster schaue, sehe ich jedenfalls Arbeiter auf der grossen Baustelle neben unserem Haus. Bei unserem Dreh auf der Jamal-Halbinsel wurde uns gesagt, dass die Arbeiter 24 Stunden am Tag in drei Schichten arbeiten. Sie sind einfach gut angezogen und gehen alle 45 Minuten wieder an die Wärme.

Stimmt es, dass in Russland die Kinder in Eiswasser getaucht werden, um sie abzuhärten?

Die Hartgesottenen machen das mit ihren Kindern, aber es ist nicht die Mehrheit. Teilweise jagen die Lehrer auch ganze Schulklassen ins Eiswasser. Ich selber habe das auch ausprobiert, traditionell am 19. Januar, am Epiphaniasfest . Das tut wirklich gut. Man wird für die Überwindung belohnt. Als ich aus dem Wasser kam, spürte ich auch bei einer Lufttemperatur von minus 20 Grad eine zeitlange lang eine angenehme Wärme.

Präsident Wladimir Putin tauchte dieses Jahr ja auch vor laufenden Kameras ins Eiswasser.

Es gibt Stimmen, die sagen, das Wasser sei für ihn gewärmt worden. Sie sagen, wenn man in der Nacht aus dem kalten Wasser komme, dann dampfe der Körper. Bei ihm dampfte er nicht. Es ist also gut möglich, dass diese Stimmen recht haben. Aber warum auch nicht mit warmem Wasser? So kurz vor der Wiederwahl sollte sich ein Präsident nicht erkälten. Er wollte Volksnähe demonstrieren. Hart im Nehmen, gesund leben, ein bisschen religiös – das sollte diese Aktion vermitteln.

Was gibt es im Alltag für Schwierigkeiten mit der Kälte?

Teilweise geht das iPhone nicht mehr. Oder bei den Kameras kann beim Sucher plötzlich das Bild verschwinden. Oder die billigen Kugelschreiber funktionieren nicht mehr. Wenn es taut, werden regelmässig Leute von grossen herunterfallenden Eiszapfen erschlagen. In St. Petersburg ist das ein Problem. Auch für die Obdachlosen ist es sehr hart. Manchmal bleiben Menschen in der Nacht betrunken liegen. Auch sie zahlen mit dem Leben. Teilweise springen die Autos nicht an. In Sibirien machen sie dann ein kleines Feuer unter dem Auto. Es gibt auch regelmässig ganze Dörfer oder kleine Städte ohne Gas zum Heizen, weil die Leitungen irgendwo leck sind.

Merkt man auch in Russland etwas vom Klimawandel?

Die Temperaturen hier sind schon wärmer geworden. Minus 30 Grad wie früher gibt es nicht mehr regelmässig im Winter. Auch Sibirien taut etwas auf. Am Nordmeer gibt es neue Strecken für Transportschiffe oder Rohstofftanker. Die Russen planen grosse Investitionen für Öl- und Gasabbau in der Arktis. Bis jetzt musste man mit dem Schiff vom russischen Festland her gesehen immer nach links wegfahren, um ganz Europa herum und dann durch den Suezkanal. Jetzt kann man von Sibirien aus nach rechts fahren, also Russland östlich umfahren. Das ist viel schneller für die grossen Märkte in Asien. Bis jetzt hat man Eisbrecher dafür gebraucht. Die Russen hoffen, dass es in Zukunft – zumindest im Sommer – auch ohne geht.

Das Gespräch führte Christa Gall.

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