Sieben Jahre lang hat ein Forscherteam aus der Schweiz und Österreich grammatikalische Varianten der deutschen Sprache zusammengetragen. Nun haben die Linguisten ein Nachschlagewerk publiziert. Christa Dürscheid, Professorin an der Universität Zürich, leitet das Projekt. Sie warnt davor, bestimmte Ausdrucksweisen vorschnell als falsch zu bezeichnen.
SRF News: Gibt es verschiedene Formen von Standarddeutsch?
Christa Dürscheid: Ja, die gibt es. Das bezieht sich nicht nur auf den Wortschatz, sondern auch auf die Grammatik. Zum Beispiel Grillieren, parkieren oder Satzkonstruktionen wie «gut, ist nichts passiert» sind solche, die in der Schweiz gebräuchlich sind. Auch sie gehören zum Standarddeutsch. Das ist nicht Dialekt. Insofern gibt es eben nicht nur ein richtiges Standarddeutsch.
Sie haben viele Zeitungen untersucht und ausgewertet. Was war das Ziel?
Wir haben geschaut, welche Varianten in gängigen Grammatiken – wie zum Beispiel auch im Duden – schon erwähnt werden, und haben überprüft, wie häufig sie in welchen Regionen vorkommen. Ist es tatsächlich so, dass es eine Variante ist, und wenn ja, wurde sie schon in einem Nachschlagewerk erwähnt?
Die verschiedenen Formen des Standarddeutschen in anderen Ländern sind ebenso gutes Deutsch.
Wir haben dazu 68 Zeitungen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum ausgewertet, also auch aus Liechtenstein, Ostbelgien und Österreich. Auf dieser Basis haben wir statistische Berechnungen angestellt. Wir wollten feststellen, ob der Gebrauch einer bestimmten Form signifikant ist, ob die Form als Variante in unsere Grammatik Eingang finden sollte, oder ob es nur Einzelfälle sind, die nicht weiter erwähnt werden müssen.
Es gibt also gebräuchliche Wendungen und Konstruktionen, die als Variante der Standardsprache gelten. Warum ist das sprachpolitisch wichtig?
Oft gilt das Deutsch, wie es in Deutschland in Gebrauch ist, als das einzig richtige. Da wollten wir ein Zeichen setzen: Die verschiedenen Formen des Standarddeutschen in anderen Ländern sind ebenso gutes Deutsch wie das Deutsch, das zum Beispiel in einer Berliner Zeitung verwendet wird.
Dank unserer Varianten-Grammatik kann man sich nun genau darüber informieren, wo man welche dieser Konstruktionen vollkommen unauffällig verwenden kann, weil sie dort in Zeitungen in einer bestimmten Frequenz vorkommen. Das zeigt, dass diese Formen Teil des Standarddeutschen in dieser Region sind.
Das heisst, wir Schweizerinnen und Schweizer werden uns den Satz «Das ist kein korrektes Deutsch» nicht mehr länger anhören müssen?
Hoffentlich. Vor allem, wenn der Satz von jemandem geäussert wird, der nur Deutsch in Deutschland im Blick hat. Denn genau das ist falsch: Es gibt nicht nur das Deutsch, wie es in Deutschland verwendet wird. Wenn es Ausdrucksweisen sind, die man zum Beispiel auch im «Tagi» findet oder in anderen Schweizer Zeitungen, dann darf man das nicht als nicht korrektes Deutsch deklarieren.
Ist Ihr Werk für Deutschlehrer, Lektoren und Journalisten bindend?
Bindend als Vorgabe für die Korrektur ist einzig die Regelung für die Rechtschreibung im Deutschen, und damit der Rechtschreibduden und die dahinterstehende amtliche Regelung. Alle anderen Ratgeber und Nachschlagewerke haben insofern keinen verbindlichen Charakter.
Bindend als Vorgabe für die Korrektur ist einzig die Regelung für die Rechtschreibung im Deutschen.
Aber unsere Varianten-Grammatik ist ein Werk, das den Sprachgebrauch dokumentiert. Und wenn man diesem Sprachgebrauch Rechnung tragen will, dann gibt es eine gewisse Verbindlichkeit – demzufolge auch in der Korrektur. Aber ein Richtig und ein Falsch wie bei der Rechtschreibung gibt es nicht.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.