Medikamente können das Leben depressiver Patienten wieder ins Lot bringen. Doch es gibt einige ungelöste Probleme. Zum Beispiel weiss man im Voraus nie, welche der zahlreichen Arzneien beim jeweiligen Patienten überhaupt nützt. Denn jeder reagiert anders auf die chemischen Stimmungsaufheller.
Welches Antidepressivum wird meinem Patienten helfen? Vor dieser Frage stehen Psychiater wie Thorsten Mikoteit täglich: «Die Behandlung ist zunächst ein Versuch-und-Irrtum-Spiel. Man wählt aus einer Gruppe von über 20 Medikamenten jenes aus, von dem man denkt, dass es am besten zum Patienten passt. In den meisten Fällen wird das aber nicht der Fall sein.»
Stolperstein Blut-Hirn-Schranke
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Bild 1 von 4. Spricht ein Patient nicht auf ein Antidepressivum an, kann eine Ursache dafür im Gehirn liegen. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 4. Wie viel von welchen Wirkstoffen nämlich vom Blut ins Gehirn gelangt, bestimmt die sogenannte Blut-Hirn-Schranke. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 4. Dieser Filter ist von Mensch zu Mensch genetisch bedingt unterschiedlich durchlässig. Je nach Patient kann also von bestimmten Antidepressiva mehr... Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 4. ...oder weniger im Gehirn ankommen. Wie es um die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke bestellt ist, lässt sich mit einem Gen-Test voraussagen. Bildquelle: SRF.
Eine Ursache dafür kann im Gehirn liegen, konkret an der Blut-Hirn-Schranke, die bestimmt, wie viel von welchen Wirkstoffen aus dem Blut ins Gehirn gelangt. Der Filter ist genetisch bedingt von Mensch zu Mensch unterschiedlich durchlässig. Je nach Patient kommt also von bestimmten Antidepressiva mehr oder weniger im Gehirn an.
Wie es um die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke bestellt ist, lässt sich neuerdings mit einem Gen-Test voraussagen. Er gibt dem Psychiater darauf basierend eine Empfehlung, auf welches Medikament in welcher Dosierung er setzen soll.
Ob das Medikament dann aber auch die gewünschte Wirkung erzielt, kann der Test allerdings nicht voraussagen. Trotzdem versprechen die Anbieter, dass sich damit erfolglose Behandlungsversuche und unerwünschte Nebenwirkungen vermieden lassen.
Schweizer Fachgesellschaften als Vorreiter
Thorsten Mikoteit wendet den Gentest regelmässig an. Und zwei Schweizer Fachgesellschaften haben als internationale Vorreiter den Test prominent in ihre Behandlungsempfehlungen aufgenommen.
Das stösst auf Kritik. Zum Beispiel beim Psychiater Gregor Hasler, der darauf hinweist, dass eine Vielzahl von Genen Einfluss auf die Wirksamkeit eines Medikaments hat: «Das ist ein riesiges Puzzle. Wenn man sich da auf ein einzelnes Puzzleteil konzentriert, besteht die Gefahr, dass man diese Information überschätzt oder sogar in die falsche Richtung therapiert.»
Gregor Hasler rät deshalb von der Verwendung des Gentests ab bei der mühsamen Suche nach dem richtigen Antidepressivum. Er versteht zwar das Bedürfnis, die Versuch-und-Irrtum-Phase zu verkürzen, glaubt aber nicht, dass die aktuell verfügbaren Tests dies erreichen. Er schliesst sich der Kritik eines internationalen Expertengremiums an: Es fehle an robusten Studien, die zeigen, dass der Gentest tatsächlich zu einer besseren Behandlungen führt.
Test meist auf eigene Kosten
Das sieht Thorsten Mikoteit entschieden anders: «Die bisherigen Studien reichen, um zu sagen: Wir möchten unseren Patienten diesen Test, diese Information nicht vorenthalten.»
Fakt ist: Bisher wird der ABCB1-Gentest in der Schweiz erst bei wenigen Patienten eingesetzt, auch wenn er unter bestimmten Voraussetzung bereits von obligatorischen Krankenversicherung übernommen wird.