Tetris spielen, nennen sie es. Weil die Lauchstängel und Rüebli, Nektarinen und Äpfel keinen Platz in den Kühlschränken finden, wenn man sie nicht sorgfältig schichtet. Sarah Weibel und Seraina Fritzsche gehen routiniert vor: Packungen werden aufgerissen, die Esswaren genau angeschaut, hier und da wird etwas weggeschnitten. Verdorbenes, und was damit Kontakt hatte, kommt kompromisslos in die Grüntonne.
Die beiden jungen Frauen gehören zum Vorstand der «Restessbar». Zusammen mit rund 25 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern hat sich der Verein zum Ziel gesetzt, essbare Lebensmittel vor dem Abfall zu retten. In der Schweiz werden pro Jahr und Kopf fast 300 Kilogramm Lebensmittel weggeworfen. Die «Restessbar» will dem auf lokaler Ebene entgegenwirken.
Siebzig Touren pro Monat
«Wir holen Essen von Läden ab. Gemüse und Früchte, die sonst in der Mülltonne gelandet wären», erklärt Sarah Weibel. Vom kleinen Bioladen zum Grossverteiler sei alles dabei. Mit den meisten Geschäften habe man einfach mündliche Abmachungen, so die 29-Jährige. Die Läden stellen ihre Produkte morgens vor das Geschäft, statt sie in die Grüntonne zu werfen – damit die «Restessbar»-Leute die Sachen mit Velo und Anhänger abholen können.
Zwei ganze Veloanhänger voller Gemüse und Früchte sind es an diesem Montag. Rund siebzig Touren im Monat machen die Freiwilligen, an jedem Wochentag ausser Sonntag. Eine Tour beginnt jeweils kurz nach acht Uhr morgens. Die Kühlschränke werden überprüft, ob vom Vortag noch etwas da ist, und geputzt. Nach der Tour werden die Lebensmittel kritisch aussortiert und in die beiden öffentlichen Kühlschränke gepackt, die in einem Hinterhof in der Winterthurer Altstadt stehen.
Tetris eben, lacht Seraina Fritzsche. Die quirlige 30-Jährige motiviert an der Tätigkeit, «dass man die Wertschätzung wieder findet.» Es gehöre zum Konzept, dass die «Restessbar»-Kühlschränke für alle zugänglich und gratis seien. Man müsse einzig einen Code per Mail anfordern. Die Kühlschränke befinden sich auf Privatgrund, den jemand unentgeltlich zur Verfügung stellt. Der Verein agiert parteipolitisch und konfessionell unabhängig, betont Fritzsche. Zudem müssten Hygiene- und Gesundheitsstandards eingehalten werden – deswegen dürfen nur Nahrungsmittel direkt aus den Geschäften in die Kühlschränke. Kein Fleisch, keine Milchprodukte, das wäre zu heikel.
«Mein Gott, das gibts doch nicht»
Das Brot ist mittlerweile gestapelt – es wird von einer Winterthurer Bäckerei beigesteuert. Ein gutes Dutzend Laibe liegt im Kühlschrank. Zwar nicht mehr so frisch wie direkt aus dem Ofen, aber wie ein Brot halt nach einem oder zwei Tagen aussieht – also eigentlich einwandfrei.
Die junge Mutter, die mit ihren beiden Kindern kommt, nimmt gerne einen Laib. Während die Tochter an einer Nektarine nuckelt und den Kühlschrank inspiziert, kaut der kleinere Bub auf einer Banane herum. «Nanane», sagt er, und hält sie der neuen Besucherin hin.
«Als wir die ersten Touren gemacht haben, hatten wir wirklich fast Tränen in den Augen», erzählt Sarah Weibel. Sie hätten sich gedacht: «Mein Gott, das gibts doch nicht.» Man wisse es zwar, aber wenn man es dann wirklich so sehe, sei das schon erschreckend, «dass das täglich alles weggeschmissen wird». Was sie denn heute mit der Ausbeute kochen würde? «Wahrscheinlich ein Ratatouille mit ganz viel Gemüse. Oder einen Fruchtsalat.» Es sei ja alles da.