Wir alle können in der Politik mitreden und mitbestimmen, sofern man natürlich den Schweizer Pass hat. Die Demokratie gehört zum Selbstverständnis der Schweiz. Allerdings ist sie nicht selbstverständlich. In verschiedenen Ländern in Osteuropa etwa, gerät die Demokratie unter Druck und auch hierzulande steht sie vor Herausforderungen, seien es Populismus, Fake-News oder die zunehmende Polarisierung.
Die Schweizer Politik hat bereits auf diese Tendenz reagiert und stärkt im neuen Lehrplan 21 die politische Bildung. Der Kanton Aargau macht daraus gar ein eigenes Schulfach, als einziger Kanton der Deutschschweiz. Andere Kantone integrieren die politische Bildung etwa in den Geschichtsunterricht, im Aargau ist während der 9. Klasse eine Wochenstunde für politische Bildung reserviert. Lehrerinne und Lehrer haben am Mittwochabend in Aarau mit Experten diskutiert, wie man den Schülerinnen und Schülern Politik wirklich näherbringen kann.
Wie könnte der Unterricht in politischer Bildung im Schulalltag konkret aussehen? Darüber hat SRF mit Jan Scheller gesprochen. Scheller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentrum für Demokratie in Aarau mit Schwerpunkt politische Bildung.
SRF: Wie kann man politische Bildung in der Schule konkret vermitteln, damit aus Schülern mündige Bürger werden, wie es das grosse Ziel der politischen Bildung ist?
Jan Scheller: Wir plädieren dafür, dass man an ganz konkreten Fallbeispielen aufzeigt, welche Positionen es gibt, welche Interessen und welche Akteure im Spiel sind. Wenn man all dies weiss, kann man ein eigenes politisches Urteil fällen.
Was müssen die Lehrpersonen im Unterricht konkret beachten?
Der wichtigste Punkt: Die Lehrpersonen müssen eine Leitfrage entwickeln, zu der die Schüler einen Bezug haben. Zum Beispiel bei Terrorismus geht es einerseits um die Frage nach möglichst genauen Kontrollen und andererseits um die Freiheit der Bürger. Dieses Spannungsfeld sollten die Lehrer auf ein konkretes Fallbeispiel runter brechen, zu welchem die Schüler einen Bezug haben.
Es geht also um mehr als einfach nur zu zeigen, wie man den Wahlzettel richtig ausfüllt. Es geht um Meinungsbildung. Dies kann heikel sein, schliesslich sollte Unterricht doch neutral sein?
Lehrer dürfen bei kontroversen Themen nicht unter den Tisch fallen lassen, dass es kontrovers ist. Wenn es mehrere Meinungen gibt, dürfen sie eben nicht sagen, es gibt nur eine Meinung. Das ist die ganz grosse Aufgabe der Lehrpersonen. Was Lehrer nicht können, ist alle möglichen Positionen zu einem Thema ausserhalb des demokratischen Spektrums zu thematisieren, also etwa Verschwörungstheorien.
Aber die Lehrer müssen entscheiden, welche Positionen sie den Schülern vermitteln, sie müssen selektieren. Dies kann zu Vorwürfen führen, dass die Kinder politisch manipuliert würden.
Deshalb müssen sich die Lehrer intensiv in die Problemstellung einarbeiten. Es ist wichtig, dass man zum Beispiel nicht nur Positionen aus dem linken Spektrum ausführt, sondern auch aus dem rechten.
Normalerweise können Lehrpersonen in der Schule Lösungen mit richtig oder falsch bewerten, das ist bei politischer Bildung ja kaum möglich. Wie misst man die Leistung der Schülerinnen und Schüler hier?
Bei einigen Fragestellungen ist es auch in der politischen Bildung schon möglich, Antworten als richtig oder falsch zu bewerten. Zum Beispiel, wenn es um Personen oder Parteien geht. Wenn es aber um die Bewertung von Argumenten geht, dann muss es um plausible und weniger plausible Argumente gehen und nicht um richtige und falsche. Das heisst: Wie gut begründet ein Schüler seine Aussage? Geht er auf Gegenargumente ein und entkräftet er diese? Das muss dann der neue Wertmassstab sein.
Das Gespräch führte Stefan Brand.