Eine bescheidene Wohnung in Kleinbasel - Hanspeter Bobst, 71, sitzt am Wohnzimmertisch, auf dem sich Akten stapeln. Akten, die seine Vergangenheit als Heimkind und als Verdingbub dokumentieren. Hanspeter Bobst Leidensweg begann in den 1950er-Jahren. Seine Mutter hatte finanzielle Probleme und setzte ihren unehelichen Sohn am deutschen Bahnhof in Basel aus. Er erinnert sich: «Man hängte mir ein Schild um den Kopf mit der Aufschrift: Mich kann man mitnehmen.»
Es begann eine Jugend ohne Zuhause. Die Behörden reichten ihn weiter von einem Ort zur nächsten. Hanspeter Bobst lebte in sieben verschiedenen Heimen und als Verdingbub auf einem Bauernhof. In einer Klosterschule wurde er von einem Priester sexuell missbraucht. Erlebnisse, die ihn bis heute verfolgen: «Das alles begleitet mich bis in den Tod.»
Man hängte mir ein Schild um den Kopf mit der Aufschrift: Mich kann man mitnehmen.
Um seine Vergangenheit besser bewältigen zu können, beschloss Hanspeter Bobst vor einigen Jahren, seine Lebensgeschichte aufzuarbeiten. Gemeinsam mit seiner Partnerin, die ebenfalls ein Heimkind war, suchte er diverse Ämter mühsam nach Akten ab. Akten, die belegen, wann er in welches Heim eingewiesen wurde.
Mittlerweile hilft ihm das Basler Staatsarchiv, das - wie in anderen Kantonen auch - eine offizielle Anlaufstelle für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen ist. Das Eintauchen in seine Vergangenheit sei schmerzhaft: «Es kostet enorm viel Energie.» Das Wühlen in den Akten lohne sich aber. Erst kürzlich habe er erfahren, dass er schon als Dreijähriger erstmals in ein Heim gekommen sei.
Schwierige Spurensuche
Im Basler Staatsarchiv sind drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit beschäftigt, ehemaligen Verdingkindern wie Hanspeter Bobst bei der Suche nach Akten zu helfen. Eine anspruchsvolle Arbeit, sagt André Buob vom Staatsarchiv. «Wenn zum Beispiel die Namen und Geburtsdaten der Eltern nicht bekannt sind, ist es schwierig für uns, einen Anfangspunkt für die Recherche zu finden.»
Aber: Meistens ist die Suche nach Spuren der Vergangenheit erfolgreich. Beim Basler Staatsarchiv haben sich bislang knapp 230 Betroffene gemeldet - und in 9 von 10 Fällen konnte man Akten ausfindig machen. Viele Betroffene seien verblüfft, wie gut ihr Leben dokumentiert sei: «Da finden sich beispielsweise Kinderzeichnung oder Dankesbriefe. Vor allem aber hilft die Suche den Betroffenen, eine Chronologie ihres Lebens zu erstellen.»
Das ist auch wichtig, weil die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen mit diesen Informationen ihr Gesuch für eine finanzielle Wiedergutmachung begründen und ihr Recht geltend machen können.
Erst 5000 Betroffene haben sich gemeldet
Bis zu 25'000 Franken haben Betroffene als Entschädigung zugute. Die Gesuche dafür müssen bis Ende März beim Bund eingereicht werden. Bislang wurden erst 5'500 Gesuche gestellt, deutlich weniger als vom Bund erwartet.
Hanspeter Bobst, das ehemalige Heim- und Verdingkind aus Basel, sagt: Er selber habe zwar einen Antrag gestellt, wisse aber von anderen Opfern, die darauf verzichten: «Die Hemmschwelle, sich zu outen, ist für viele gross. Das war bei mir selber auch so. Aber man muss das tun, denn unsere Nachkommen müssen wissen, was in der Vergangenheit passiert ist.»
(Regionaljournal Basel, 17:30 Uhr)