Farbige Kacheln für den Stubenofen, aufwändig bemalte Schüsseln, Teller und Töpfe. All das wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts ganz hinten im Prättigau produziert. St. Antönien war damals eine Keramikhochburg.
Über fünf Generationen produzierte die Familie Lötscher kunstvolle Alltagsgegenstände. 1898 war Schluss. Wegen der neuen Bahnlinie war die Konkurrenz zu gross geworden, weil plötzlich Industrieware im Tal erhältlich war.
Etwas, was immer wiederkehrt, ist die Kuh. Man könnte fast sagen, das heilige Tier in St. Antönien.
Die neue Sonderausstellung im Rätischen Museum in Chur, «Lötschers Kacheln. Die Hafner aus St. Antönien», erzählt die Geschichte der Familie und der Objekte. Erforscht hat diese während zwei Jahren der Archäologe und Keramikexperte Andreas Heege.
SRF: Was für Keramiken hat die Familie Lötscher produziert?
Andreas Heege: Grundsätzlich gibt es zwei grosse Gruppen, die in der Hafnerei Lötscher produziert wurden. Erstens Ofenkacheln für die Kachelöfen und zweitens die sogenannte Geschirrkeramik – also Töpfe, Teller, Schüsseln, die man im Alltag verwendete. Sei es in der Küche, für das Kochen, die Vorratswirtschaft oder auch zum Essen.
Keramiken wurden an vielen Orten produziert. Was zeichnet die Lötscher-Keramik aus?
Die Familie Lötscher waren im Prättigau die einzigen lokalen Produzenten. Die nächsten Hafner sassen erst in der Stadt Chur. Das heisst, sie hatten einen lokalen Markt, in dem ausser den Produkten der Hausierer keine andere Keramikkonkurrenz da war. Das war ein Wirtschaftsvorteil für sie.
Wie aussergewöhnlich war es, dass jemand im Prättigau diesen Beruf ergreift?
Im Prättigau sind die Hafner Lötscher die Einzigen, und das hat seinen guten Grund. Ohne ein Tonlager, also ohne die Rohstoffe, wäre das gar nicht möglich gewesen. St. Antönien hat ein solches Tonlager im Tobel des Schanielabachs, das geeignet war für die Keramik-Produktion.
Wie kam die Familie Lötscher auf die Idee, auf Keramik zu setzen?
Von der Landwirtschaft alleine konnte man im Prättigau bereits im 18. Jahrhundert eigentlich nicht mehr leben. Im Winter gab es immer Nebenerwerbsarbeiten. Viele Männer in St. Antönien haben Schaufelstiele, Werkzeugstiele, Schlitten, was auch immer produziert. Das reicht bis zu hölzernen Räder-Uhren, von denen uns berichtet wird. Wichtig war auch die Textilproduktion. Die Hafnerei ist ein solches Heimarbeits-Standbein neben der Landwirtschaft, damit Geld in die Kasse kommt.
Gibt es etwas Spezielles, das die Lötscher-Keramik auszeichnet?
Das sind die Gefässe, die Christian Lötscher, der dritte Hafner, gemacht hat. Er hat ganz herausragende Farbtöpfe produziert, die man brauchte, um Textilien mit Indigo zu färben, in einer kalten Urin-Küpe, wie die Spezialisten sagen – das ist eine Mischung aus Indigo und Urin. Er war der Einzige weit und breit, der diese Töpfe produziert hat.
Christian Lötscher hat auch Rahmtöpfe gemacht, die man verwendete, damit sich der Rahm von der Milch trennen konnte und man sie perfekt in die Fässer schütten konnte. Das sind auch ganz eigenständige Erfindungen von Christian Lötscher.
Neben diesen speziellen Objekten gibt es auch ein spezielles Motiv?
Etwas, was immer wiederkehrt, ist die Kuh. Man könnte fast sagen, das heilige Tier in St. Antönien. Ohne Kuh keine Milch, ohne Milch keine Butter, ohne Butter kein Handel mit dem Montafon, ohne Handel mit dem Montafon kein Geld in der Kasse. Von daher verwundert es nicht, dass die Kuh immer wieder sowohl in gemalter Form als auch in modellierter Form vorkommt.
Christian Lötscher ist ein so verrückter Hafner, dass er sogar Kühe produziert hat als Kachelofenaufsätze! Man muss sich wirklich vorstellen: Sie haben in ihrer guten Stube nicht nur einen wunderhübschen, bunten Kachelofen, sondern obendrauf auf der Spitze des Ofens thront dann eine solche Prättigau Kuh mit einer grossen Glocke. Das ist bestimmt die Kuh, die beim Alpaufzug immer vorneweg marschiert ist, also die schönste, grösste, stolzeste, die mit der meisten Milchleistung.
Das Gespräch führte Stefanie Hablützel.