Frei verkäuflich, günstig, unkompliziert: Schmerztabletten haben heute den Status von Lifestyle-Medikamenten. Sie sind beinahe immer dabei – in der Hausapotheke, der Handtasche oder der Schreibtischschublade im Büro. Nur einen kleinen Teil der Pillen haben Ärzte verschrieben.
Rund hundert frei verkäufliche Schmerzpräparate sind in der Schweiz erhältlich – pro Jahr gehen über 14 Millionen Packungen davon über die Tresen der Schweizer Apotheken. Laut einer Studie aus dem Jahr 2010 gab ein Viertel der Schweizer an, in den letzten sieben Tagen mindestens ein Schmerzmittel geschluckt zu haben. Oft sind es Medikamente, mit denen bereits die Urgrosseltern ihre Kreuz- oder Kopfschmerzen linderten, Aspirin beispielsweise, oder auch Paracetamol-Arzneien wie Dafalgan.
Bis heute sind sie beliebt, auch wenn sie gerade in den letzten Jahren einiges an Kritik einstecken mussten. Denn eine Studie nach der anderen belegt: beliebt, bedeutet nicht harmlos, rezeptfrei nicht nebenwirkungsarm. Heute hätten es Medikamente schwer mit einer Zulassung als freiverkäufliches Schmerzmedikament, wenn sie den Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS) oder Paracetamol, den Wirkstoff von Dafalgan oder Ben-u-ron, enthalten.
Nebenwirkungen bereits bei geringer Dosis
Denn auch das zeigen Studien: Deren Nebenwirkungen können beträchtlich und gefährlich sein. Bereits bei einer geringen Dosis von beispielsweise vier Gramm Paracetamol pro Tag können schwere Leberschäden auftreten. Menschen mit Vorerkrankungen an der Leber oder Alkoholproblemen sind noch gefährdeter, denn die giftigen Zwischenprodukte, die entstehen, wenn die Leber den Wirkstoff nicht richtig abbaut, können dem Organ so zusetzen, dass es versagt.
Auch der Wirkstoff ASS in Aspirin, Alka Seltzer & Co. schneidet nicht besser ab und wird deshalb nur noch bedingt empfohlen. Denn die willkommene schmerzlindernde Wirkung wird begleitet von einem blutverdünnenden Effekt, der problematisch sein kann. Ärzte empfehlen diese Medikamente deswegen zunehmend nur noch Patienten, denen genau diese blutverdünnenden Eigenschaften zugute kommen – Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten beispielsweise.
Für sie fällt das Risiko-Nutzen-Verhältnis besser aus als für Gesunde: Letztere kaufen sich die Schmerzlinderung mit der Gefahr einer Magenblutung zu teuer im Urteil vieler Fachleute. Hinzu kommt: Die schmerzlindernden Eigenschaften sind schnell verpufft – das Blut normalisiert sich aber erst nach Tagen wieder. Das Blutungsrisiko bleibt also lange nach der Schmerzattacke noch bestehen. Ein wichtiger Punkt, wenn beispielsweise eine Operation bevorsteht.
Die Wirkstoff-Senioren
Dass es Arzneien mit ASS und Paracetamol trotz ihres Risikopotenzials zu Volksmedikamenten gebracht haben, liegt daran, dass sie aus einer anderen Zeit stammen. Aspirin kam schon 1899 auf den Markt. In der Schweiz wurde es 1936 zugelassen, aber erst in den 1970er-Jahren war klar, warum und wie der Stoff wirkt. Das Paracetamol-Medikament Panadol wurde in den 1950er-, Ben-u-ron in den 1960er-Jahren zugelassen. Damals waren die gefährlichen Nebenwirkungen noch nicht im heutigen Ausmass bekannt.
Besser sieht es beispielsweise bei Ibuprofen oder Diclofenac aus der Gruppe der nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) aus. Sie wurden bereits vor der Zulassung besser erforscht. Ein Freibrief für eine unkontrollierte Einnahme ist das aber nicht, denn auch sie haben ihre Tücken. Britische Forscher warnten in einer 2013 im Fachmagazin «Lancet» erschienenen Studie, dass eine langfristige und hoch dosierte Einnahme von Diclofenac, Coxiben oder Ibuprofen (in der Regel 150 Milligramm Diclofenac oder 2400 Milligramm Ibuprofen pro Tag) das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall steigern.
Etwa jeder fünfte Patient, der über längere Zeit ein NSAR einnimmt, bekommt ein Geschwür im Verdauungstrakt.
Und: Etwa jeder fünfte Patient, der über längere Zeit ein Medikament aus dieser Wirkstoffgruppe einnimmt, bekommt laut Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ein Geschwür im Verdauungstrakt. Ihr klarer Vorteil ist aber: Der Körper scheidet diese Wirkstoffe schneller wieder aus. Überdosierungen mit schwerwiegenden Folgen sind deshalb seltener. Für einen kurzen Einsatz zur Schmerzlinderung eignen sie sich damit bedingt besser.
Auch wenn alle gängigen Schmerzmittel ihre Schwächen haben: Ein Leben ganz ohne sie ist heute für kaum jemanden noch denkbar. Deshalb gilt: Gesunde, die hin und wieder eine Schmerztablette einnehmen, werden selten schwere Nebenwirkungen erfahren. Länger als drei Tage sollten sie die Medikamente auf eigene Faust aber nicht einnehmen und sich auf eine möglichst geringe Dosis beschränken – und bei länger anhaltenden Problemen den Arzt um Rat fragen.