Ende 2018 werden die Deutschschweizer Justizbehörden einem neuen System angeschlossen sein: Dem Risikoorientierten Sanktionenvollzug (ROS), der Straftäter in drei verschiedene Gefährlichkeitsstufen einteilt. Die Einteilung erfolgt mit einem Algorithmus. Doch dessen Treffsicherheit ist umstritten: Kritiker bemängeln, Straftäter könnten in einer falschen Gefährlichkeitskategorie landen - und sich daraus nicht mehr befreien.
Der Kanton Luzern wendet das System seit 2010 an. Stefan Weiss, Leiter des Justizvollzugs, weist die Kritik zurück. ROS könne nicht in die Zukunft blicken, aber Straftätern helfen, ihre Rückfallrisiken selber anzugehen.
SRF News: Stefan Weiss, laut ROS-Kritikern liefert das System Fehlbeurteilungen - Straftäter können als zu gefährlich oder als zu harmlos beurteilt werden. Was sagen Sie dazu?
Stefan Weiss: Bei den Straftätern, die in die Kategorie C eingeteilt werden - also in die gefährlichste Kategorie - gibt es kein Problem. Denn ein «C» bedeutet ja nur, dass ein Fall vertieft abgeklärt werden muss. Und diese Abklärung kann dann ergeben, dass tatsächlich kein erhöhtes Risiko für Gewalt- und Sexualstraftaten besteht. Umgekehrt ist es tatsächlich so: Wenn jemand verurteilt wurde, weil er zu schnell gefahren ist, wird er deswegen nicht als gefährlicher Fall deklariert - und begeht vielleicht in einem Jahr eine sexuelle Handlung mit einem Kind. Wir können unmöglich vorhersehen, was in einem Jahr oder zwei sein wird.
In die Zukunft schauen bei jemanden, der erstmals und wegen eines geringfügigen Delikts verurteilt wurde, das kann kein System.
Und was bringt denn ein solches System, wenn es eben die ganz heiklen Fälle gar nicht erkennen kann?
In den meisten Fällen, in denen wir gestützt auf Akten schon etwas erkennen können, bringt dieses System sehr viel. Aber in die Zukunft schauen bei jemanden, der erstmals und wegen eines geringfügigen Delikts verurteilt wurde, das kann kein System.
Kritiker sagen auch: Straftäter, die aufgrund von ROS in eine Gefährlichkeitskategorie eingeteilt werden, können sich nicht gegen diese Schubladisierung wehren. Ist das nicht eine Missachtung der Rechte des Betroffenen?
Die Risikobewertung führt nicht dazu, dass ein Gefangener schlechter gestellt wird. Und: Der Gefangene wird mit der Beeurteilung konfrontiert - er muss ja wissen, an welchen Themen er arbeiten muss. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Gefangenen ja auch selber wollen, dass sie nicht mehr rückfällig werden. Wenn wir nun gestützt auf die ROS-Beurteilung eine Massnahme ergreifen - zum Beispiel einen Hafturlaub verweigern - dann gibt das eine Verfügung, die der Häftling anfechten kann.
Das Gespräch führte Miriam Eisner.