- Das Bundesstrafgericht hat neun Beschwerden gutgeheissen von Aargauer Rechtsanwälten. Diese wehrten sich gegen Kürzungen ihrer Honorare.
- Die 1. Strafkammer des Obergerichts hatte die Honorare der amtlichen Verteidigerinnen und Verteidiger jeweils pauschal gekürzt, um bis zu 80 Prozent.
- Das Bundesstrafgericht rüffelt die Aargauer Justiz zum Teil mit deutlichen Worten und verlangt zudem Entschädigungen für die Anwälte.
Ein amtlicher Verteidiger verrechnet für einen Berufungsprozess insgesamt 20'050 Franken Anwaltshonorar. Er gibt an, dass er für die Beratung seines Klienten und die Vorbereitung des Prozesses knapp 100 Stunden aufgewendet habe. Es geht um einen Wirtschaftsfall, um 23 Bundesordner mit Akten.
Das Aargauer Obergericht aber findet, der Verteidiger hätte seine Arbeit auch in 17 Stunden erledigen können und gewährt ihm eine Entschädigung von lediglich 4000 Franken – also 80 Prozent weniger. Nun hat sich das
Bundesstrafgericht in diesem und acht weiteren Fällen mit den Anwaltskosten im Aargau befasst. Es heisst alle Beschwerden der Pflichtverteidigerinnen und Pflichtverteidiger gut und rüffelt die zuständige Strafkammer am Obergericht.
Pauschale Kürzungen gehen nicht
Die Strafkammer habe das Honorar des amtlichen Verteidigers «gestützt auf wenig aussagekräftige Kriterien» festgelegt. Die dem Verteidiger zugesprochene Entschädigung «steht vielmehr ausserhalb jedes vernünftigen Rahmens zu den geleisteten Diensten», so das Bundesstrafgericht in seiner schriftlichen Begründung.
In anderen Fällen hatte das Obergericht die Anwaltshonorare jeweils pauschal um 50, 40 oder 20 Prozent gekürzt. Das Obergericht begründete seine Kürzungen unter anderem jeweils damit, dass sich die Verteidiger aus dem Verfahren in der ersten Instanz ja bereits mit dem Fall auskennen und deshalb weniger Zeit für die Vorbereitung bräuchten.
Das Bundesstrafgericht hält hingegen sinngemäss fest, dass die Anwälte ihre Kosten detailliert aufgeschlüsselt hätten. Das Obergericht müsste deshalb detailliert begründen, welche Kosten aus seiner Sicht übertrieben sind. Eine pauschale Kürzung entspreche nicht den rechtlichen Vorgaben. Ein amtlicher Verteidiger wisse so nie, ob und wie er für seine Arbeit entschädigt wird.
In den Kantonen Zürich und St. Gallen werden pauschale Entschädigungen in den Verordnungen umschrieben. Im Aargau hatte das Parlament entsprechende Lösungen abgelehnt. Es fehlt also die rechtliche Grundlage. Nun muss das Obergericht die Anwaltshonorare in allen neun Fällen neu festlegen, das Bundesstrafgericht hat die Entscheide aus Aarau aufgehoben.
Anwälte und Richter sehen sich beide im Recht
Als Reaktion auf die Urteile aus Bellinzona schreibt eine Anwaltskanzlei aus Frick auf ihrer Website, das Obergericht sei «systematisch zu knausrig». Das gefährde auch die Rechtssicherheit: «Nur mit der uns zustehenden Entschädigung können wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen, bedürftige Beschuldigte effektiv zu verteidigen.»
Die Aargauer Justizleitung nimmt die Urteile zur Kenntnis und kommentiert diese nicht im Einzelnen. Grundsätzlich hält sie auf Anfrage von SRF aber fest, dass das Gericht von Gesetzes wegen die Kosten der Anwälte prüfen müsse. Das sei auch richtig so: «Ein genaues Hinschauen liegt nicht nur im Interesse des Staates, sondern auch der beschuldigten Person, die die Anwaltskosten je nach Ausgang des Verfahrens bezahlen muss.»
(Urteile BB.2020.5 / BB.2020.1 / BB.2019.203 / BB.2019.77 / BB.2019.209 / BB.2019.256 / BB.2019.118 / BB.2019.280 / BB.2019.269 vom 5. und 6. Februar 2020, Text mit Material der sda)