Wäre letzte Woche über die 1:12-Initiative abgestimmt worden, hätten sich 54 Prozent der Stimmberechtigten bestimmt oder eher gegen die Vorlage ausgesprochen. Das Ja-Lager vereint zurzeit 36 Prozent hinter sich. Unschlüssig sind immer noch 10 Prozent der Befragten, wie der Bericht des Forschungsinstituts gfs.bern festhält.
Gegenüber der ersten SRG-Umfrage vom 18. Oktober hat die Nein-Seite von 44 auf 54 Prozent zugelegt. Entsprechen musste das Ja-Lager Federn lassen. Der Ja-Anteil verringerte sich um 8 Prozentpunkte. Dies Entwicklung vom Ja zum Nein ist der Normalfall.
Im Vorfeld wurde die 1:12-Initiative immer wieder mit der Abzocker-Vorlage von Thomas Minder verglichen. Beim aktuellen Volksbegehren zeichnet sich ein ganz anderer Verlauf ab. «Die Wiederholung einer solchen spezifischen Situation kann nicht auf dem Reisbrett geplant werden», erklärt Politikwissenschafter Claude Longchamp. Zudem gebe es einen wesentlichen Unterschied: Die Abzocker-Initiative kam von rechts und berührte vor allem auch das Denken der Rentnerinnen und Rentner. Die 1:12-Initiative sei eine Initiative für Junge und spricht die Älteren eben nicht an.
Klassisches Links-rechts-Schema
Bei der Konfliktanalyse wirken sich die Parteibindungen klar aus. Nach wie vor steht die Wählerschaft der Grünen hinter der Vorlage. Der Anteil der Zustimmung ist sogar noch leicht gestiegen. Die Ja-Tendenz sinkt aber bei allen anderen Parteien – so auch bei der SP. Aktuell sind 63 Prozent der SP-Wählerschaft bestimmt oder eher dafür. Im bürgerlichen Lager trumpft die FDP mit dem höchsten Nein-Wert auf. Hier wollen 79 Prozent bestimmt oder eher ein Nein in die Urne legen.
Damit ergibt sich eine klassische Links-rechts-Polarisierung. Der Abstimmungskampf hat aber dieses Spannungsfeld nicht verstärkt. Vielmehr haben die linken Parteien ein Dilemma: SP-Vertreter aus den Kantonen und Städten äusserten sich kritisch zur Juso-Vorlage und ihren Folgen.
Lateinische Schweiz knapp dafür oder gespalten
Jenseits der Parteienbindung beeinflussen die Wertvorstellungen die Stimmabsichten. Wer Gerechtigkeitsüberlegungen bei den Löhnen hoch gewichtet, ist auch weiterhin mehrheitlich für die Initiative. Nach wie vor verworfen wird die Vorlage von denjenigen, die den Lohn als Entgelt für eine entgegengebrachte Leistung ansehen.
Interessant ist auch die unterschiedliche Akzeptanz der 1:12-Initiative in den verschiedenen Sprachregionen. Knapp mehrheitlich zustimmend präsentiert sich die italienischsprachige Schweiz. Gespalten ist die französische Schweiz. In der Mehrheit ist die Gegnerschaft in der Deutschschweiz. Auch wenn die Tendenz zur Ablehnung gesamtschweizerisch wächst, könnte bei dieser Vorlage ein Röstigraben entstehen.
Erhebliche Unterschiede gibt es auch beim Alter. So sind 51 Prozent der unter 40-Jährigen für das Volksbegehren. Die Rentner sprechen sich mit 61 Prozent dagegen aus. «Zusammengefasst kann man unverändert von einem ‹linken Ja› und einem ‹rechten Nein› sprechen», stellt der Bericht von gfs.bern fest.
1 gutes Pro-Argument gegen 3 gute Contra-Argumente
Bei der Analyse der Argumente verfügen beide Lager weiterhin über mehrheitsfähige Botschaften. Auf der Ja-Seite betrifft dies vor allem der Vorwurf, exorbitante Managerlöhne seien Abzockerei. Vier von fünf Befragten stimmen dem zu. Nicht eindeutig mehrheitsfähig sind die anderen Argumente. Die Botschaft, die Initiative wirke gegen die Lohnschere, wird von den Befragten noch knapp akzeptiert. Das Argument der Lohngerechtigkeit wird aber weniger stark wahrgenommen.
Die Gegnerschaft verfügt weiterhin über drei mehrheitsfähige Argumente, deren Akzeptanz stabil oder steigend ist, wie es im Bericht heisst. Die Botschaft, Lohnpolitik sei eine Aufgabe der Unternehmer, nicht des Staates, zieht nach wie vor am besten. Aber auch das Argument, mit der Initiative hohe Steuerausfälle und Mindereinnahmen für die AHV zu verursachen, ist immer noch mehrheitsfähig.