Es war ein gesitteter Abstimmungskampf in den letzten Wochen. Zu diesem Schluss kommt Claude Longchamp, Leiter des gfs-Forschungsinstituts Bern. Dies hange vor allem mit zwei Dingen zusammen:
- Einerseits fanden in den vergangenen Monaten mit der Masseneinwanderungsinitiative und dem Entscheid über einen Kauf von neuen Kampfflugzeugen zwei Abstimmungen statt, die stark emotional aufgeladen waren und dementsprechend öffentlich breit diskutiert wurden. «Dies mobilisiert mehr Menschen in der Schweiz und führte schliesslich zu einer höheren Wahlbeteiligung.»
- Andererseits seien die beiden Themen, über welche heute abgestimmt wird, weniger breit diskutiert worden – vor allem die Mehrwertsteuer-Initiative sei zudem komplex und betreffe auf den ersten Blick nicht jede Person in der Schweizer Bevölkerung.
Dies zeigt sich auch in einer Auswertung, die SRF während vier Wochen vor den Abstimmungen durchgeführt hat. Daraus wird ersichtlich, dass der Entscheid über eine öffentliche Krankenkasse deutlich mehr Online-Artikel und Reaktionen in Social Media auslöste, als die Abstimmung über eine Angleichung der Mehrwertsteuer.
Die Debatten in Social Media hätten im Vorfeld der aktuellen Abstimmungen allerdings eine neue Qualität erreicht, stellt Longchamp fest. Bisher hätten soziale Netzwerke vor allem eine kompensatorische Funktion übernommen. «All jene, die sich im Abstimmungskampf benachteiligt fühlten, machten ihren Unmut via Social Media breit», erklärt Longchamp.
Neuerdings haben auch die verschiedenen Komitees ganz bewusst diese Kanäle eingesetzt, um direkter und persönlicher mit der Stimmbevölkerung in einen Diskurs zu treten. So seien explizit Botschaften für Twitter und Facebook kreiert worden und Karikaturisten hätten Bilder und Kurzvideos erstellt, so Longchamp. Auch gezielte Angriffe auf die gegnerischen Lager wurden über diese Kanäle lanciert und später von Journalisten in klassischen Medien wiederum aufgegriffen.
Bratwurst als Nationalsymbol
Vor allem aber eine Ikone wird Schweizerinnen und Schweizern vom Abstimmungskampf zu diesen Vorlagen in Erinnerung bleiben: die Bratwurst. Nicht zum ersten Mal wird das Nationalsymbol in einem politischen Abstimmungskampf eingesetzt, um Stimmen zu werben. Bereits im Zusammenhang mit der Abstimmung über längere Öffnungszeiten von Tankstellenshops vor genau einem Jahr war die Bratwurst auf Abstimmungsplakaten sichtbar.
Doch weshalb wird die Bratwurst als Symbol in der Politik immer wieder eingesetzt? Politikwissenschaftler Claude Longchamp sieht zwei Gründe: «Zum einen ist die Bratwurst ein relativ unverfängliches Symbol, das nicht Patrioten oder Nationalisten zuordenbar ist, trotzdem für die Schweiz steht und somit eine gewisse Identifikation entwickelt. Zum anderen kann über die Bratwurst die Hauptbotschaft der Mehrwertsteuer-Initiative sehr einfach abgebildet und verständlich vermittelt werden.»
Bereits in anderen Jahren musste die Bratwurst als politisches Symbol herhalten – hier eine Übersicht.
Die Bratwurst macht Politik
2014
Die Initianten der Mehrwertsteuer-Initiative versuchten ihre Hauptbotschaft im Abstimmungskampf mit einer Bratwurst zu visualisieren.
2013
Doch auch die Gegner im Kampf um längere Öffnungszeiten griffen zur Wurst: Hier allerdings in Form der «Extrawurst» auf einem Abstimmungsplakat der Partei der Arbeit.
2013
«Keine Bratwurst ist illegal», könnte einem bei diesem Sujet als erstes in den Sinn kommen. Vielmehr ging im Abstimmungskampf im September 2013 um die Liberalisierung der Öffnungszeiten von Tankstellen-Shops – in welchen natürlich auch Bratwürste verkauft werden.
1935
Ein Blick in die Archive zeigt: Die Bratwurst als Ikone in der Politik ist ein uraltes Phänomen. Bereits 1935 wurde sie bei der Abstimmung über eine Totalrevision der Bundesverfassung als Bildmotiv eingesetzt.
2015
Die Bratwurst wird uns auch in Zukunft begleiten: Bereits seit Oktober 2012 ist eine Volksinitiative der SP mit dem Titel «Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre (Abschaffung der Pauschalbesteuerung)» hängig, die ebenfalls mit einer Bratwurst wirbt. Wann sie vors Stimmvolk kommen wird, ist noch unklar.