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Amtszwang Im Bergdorf Embd will niemand in den Gemeinderat

Jede zweite Gemeinde in der Schweiz hat Mühe, ihre Exekutivämter zu besetzen. Regelmässig werden Gemeinderäte ins Amt gezwungen. In Embd VS sind seit Herbst 2024 vier von fünf Gemeinderäten unfreiwillig im Amt.

Mario Lengen erfuhr im Herbst per Telefon von seiner Wahl. Als der Gemeindepräsident anrief, habe er zuerst gelacht, erzählt er: «Ich dachte, das ist nicht möglich. Aber dann wurde ich sehr wütend.» Mario Lengen ist als Kantonier unter anderem zuständig für die Schneeräumung und arbeitet daneben als Landwirt.

Für das Amt als Gemeinderat fehle ihm schlicht die Zeit: «Das ist ein Riesenproblem. Ich arbeite manchmal 14 bis 15 Stunden am Stück. Und dann sollte man noch an die Gemeinderatssitzung.»

In Embd VS gilt Amtszwang. Neben Mario Lengen wurden drei weitere Personen im Herbst in den Gemeinderat gewählt, ohne dass sie kandidiert hatten. Auch Alexa Schaller wollte das Amt eigentlich nicht: «Es war fast wie eine Ohrfeige am Anfang.» Sie habe sich dann aber ihrem Schicksal ergeben: «Jemand muss es machen. Jetzt hat es halt uns getroffen.»

Unpopuläres Amt

In Embd leben rund 290 Einwohner und Einwohnerinnen. Viele Einheimische sassen bereits einmal im Gemeinderat – andere haben keine Zeit oder kein Interesse. Der einzige Bisherige im Gremium ist Gemeindepräsident Elmar Fux.

Er hat auf die Gemeinderatswahlen hin nach geeigneten Kandidaten und Kandidatinnen gesucht: «Manche Leute haben gesagt, wenn sie mich wählen, bringe ich mich um.» Im Amt mache man sich mit manchen Entscheiden auch unbeliebt. Er selbst sei als Gemeinderat schon einmal bedroht worden.

Die Bereitschaft, sich in öffentlichen Ämtern zu engagieren, nimmt seit Jahren ab. Laut einer Studie der ZHAW School of Management and Law haben rund 49 Prozent der Gemeinden Probleme, ihre Exekutivämter zu besetzen. Ein Grund sei, dass sich die Aufgaben oft schlecht mit beruflichen und familiären Verpflichtungen vereinbaren liessen. Eine Umfrage in der Gemeinde Embd bestätigt dies.

Amtszwang kommt regelmässig vor

Neben dem Kanton Wallis kennen sieben weitere Kantone den Amtszwang. Wie Umfragen der «Rundschau» zeigen, kommt es in der Schweiz regelmässig vor, dass Personen ins Amt gewählt werden, ohne kandidiert zu haben. In den vergangenen zehn Jahren waren es mehr als zwei Dutzend Fälle.

Amtszwang in sieben Kantonen

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In der Schweiz gilt in sieben Kantonen der Amtszwang: Wallis, Uri, Solothurn, Luzern, Zürich, Nidwalden und Appenzell Innerrhoden. Im Kanton Bern können die Gemeinden selbst darüber bestimmen, ob sie den Amtszwang wollen oder nicht.

In allen Kantonen gelten unterschiedliche Ausnahmeregeln. Zum Teil gilt der Amtszwang für vier, zum Teil für acht Jahre. Im Kanton Zürich können sich Gewählte, die älter als 60 Jahre alt sind, vom Amtszwang befreien lassen.

In allen Kantonen kann man gesundheitliche Gründe geltend machen. Der Kanton Wallis akzeptierte kürzlich den Rücktritt eines neu gewählten Gemeinderats aufgrund von medizinischen Bedenken.

Auch mit einem Wohnortswechsel könnten Gewählte dem Amt theoretisch entkommen. In Kanton Uri gab es in der Gemeinde Bauen vor Jahren den Fall, dass drei Personen nach der Wahl ihre Schriften in die Nachbargemeinde verlegten. Im Kanton Uri ist auch gesetzlich festgehalten, dass man im Fall einer Weigerung mit einer Busse von bis zu 5000 Franken bestraft werden kann.

Statistiken führen die Kantone nicht. Die meisten Gewählten fügen sich dem Amtszwang mit Murren. Zu Rekursen kommt es selten. In der Gemeinde Collonges bei Martigny rekurriert aktuell ein gewählter Gemeinderat gegen den Kanton Wallis.

Fusion als Lösung?

Die Gemeinderäte in Embd sehen im Amtszwang keine sinnvolle Lösung. «Wenn man nicht freiwillig im Gemeinderat ist, hört man nach vier Jahren wieder auf», sagt Landwirt Mario Lengen. So würden dem Dorf die Kandidaten ausgehen.

Als mögliche Lösung bringen die Ratsmitglieder eine Gemeindefusion ins Spiel. Das sei zwar nicht bei allen populär. «Der Walliser ist kein Fusionierer», sagt Gemeindepräsident Elmar Fux. Deshalb will er zunächst die Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden stärken und dank Synergien die Gemeinde entlasten.

Aber früher oder später werde sich die Frage einer Fusion für die kleine Gemeinde Embd stellen, sagt Elmar Fux. Hoffnung setzt er in die jungen Leute im Dorf: «Vielleicht wächst eine neue Generation heran, die sich den Aufgaben in der Gemeinde stellen will.»

Rundschau, 5.2.2025, 20:05 Uhr

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