Auslöser ist nicht nur Donald Trump. Es gab in diesem Jahr zahlreiche andere politische Ereignisse, bei denen viel Populismus im Spiel war und zu überraschenden Ergebnissen führte: Etwa der Brexit oder die Wahlsiege der AfD.
Im Wahlkampf in den USA war Trump anzüglich oder rassistisch, was ihn früher den Kopf gekostet hätte. Hat die Leute überzeugt, dass sich ein Politiker heute nicht mehr scheut, sozialen Normen zu brechen?
Als möglichen Grund dafür sieht Politikphilosophin Katja Gentinetta die Political Correctness, die oft zu weit gehe: «Fast niemand wagte mehr, zu sagen, ich wähle Trump. Darum lagen wohl auch alle Umfragen daneben»
Bezogen auf die Schweiz gesteht sich auch Jurist Pirmin Bischof ein: «Was wir in der letzten Zeit an Gesetzgebung gemacht haben, hat natürlich schon die Wirkung, dass sich viele im Land nicht mehr trauen, zu sagen, was sie denken.»
Die strafrechtlichen Grenzen seien teilweise wohl ein wenig zu eng gezogen worden. «In einer Demokratie wie der Schweiz, wo man über Menschen und auch Sachfragen entscheidet, muss man frei sagen dürfen, was man meint», so Bischof.
«Wenn aber jemand wie Trump mit sexuellen Übergriffe auf Frauen prahlt und das verharmlost, hat das nichts mehr zu tun mit ‹man darf das nicht mehr sagen›, sondern ist respektlos gegenüber der Hälfte der Weltbevölkerung», widerspricht Mattea Meyer.
In der Schweiz gebe es ein Establishment und die Medien, die eine politische Korrektheit geformt hätten, dass man sich nicht mehr traue, etwas zu sagen, meint Andreas Glarner: «Und jetzt kommt einer [Trump], der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.» Das ganze Establishment (das «deutsche» Wort heisse Classe politique, wirft Gentinetta ein) habe gewaltig «eis a d’Schnorre übercho», so Glarner.
Was Gentinetta Trump zugute hält: Er habe Probleme angesprochen. Und in der heutigen Demokratie gebe es das Problem, dass man gewisse Themen gar nicht ansprechen dürfe. Es sei fast schon heikel, wenn jemand zum Beispiel beim Thema Migration sage, «es kann sein, dass das wirklich ein Problem ist». «Wenn wir so weit sind, haben wir einen schwierigen Punkt in unserer Demokratie erreicht.»
Der Aufschwung der Populisten
Trump, als aktuelles Beispiel, hat sich gegen das Establishment gestellt. Das passierte aber im Verlaufe des Jahres nicht nur in den USA. Auch in Europa stehen Mehrheiten nicht mehr nur hinter den etablierten Parteien, sondern immer öfter hinter Populisten.
Diese Entwicklung sei ernst zu nehmen, sagt Gentinetta. Vor Jahren habe es die These gegeben, dass sich Demokratie in Richtung Technokratie entwickeln würde, Probleme auf internationaler Ebene durch Experten gelöst würden.
«Wir sind aber beim Gegenteil gelandet, nämlich einer Demokratie, die sich so äussert, wie wir sie jetzt erleben.» Man wisse aber noch nicht, wie weit diese Entwicklung gehe, denn am Schluss müsse trotz allem der Rechtstaat geschützt bleiben.
Umgang mit Populismus?
Die Schweiz habe die Chance, regelmässig über Sachfragen abstimmen zu können und sei darum nicht so abhängig davon, Personen zu wählen, ergänzt Bischof. Und bei Personenwahlen, oder wenn es um Regierungsverantwortung gehe, erwarteten die Leute, dass man Lösungen bringe.
Eine Demokratie bestehe zum Glück nicht nur aus gewählten Politikern, sondern auch aus Bürgern, die wählen und abstimmen können. In diesem Jahr habe man gelernt, dass Bürger selber kritischer werden müssten, meint Gentinetta.
Auch Medien versuchten oft, etwas herbeizuschreiben, sagt Glarner. Aber es gebe eine öffentliche Meinung und eine veröffentlichte Meinung, die aber immer mehr auseinanderlaufe. «Der Bürger ist nicht so ungeschickt, dass er das alles durchlässt.»
Diesen letzten Satz unterschreibt Schwander vollständig: «Der Bürger ist nicht so blöd, wie wir manchmal meinen.» Alle drei Monate gebe es eine Abstimmung und man wisse dann als Politiker, wo die Realitäten lägen.
Nur noch die «eigenen Leute»
Populismus werde wirklich dann kritisch, wenn er im Kern nur noch die «eigenen Leute» anspreche, erklärt Gentinetta. «Das war beim Brexit so, bei der AfD, und ist bei den ‹guten Schweizern› so» [zu Glarner, SVP, gewandt].
Für Gentinetta wird es dann gefährlich, wenn mit «eigenen Leuten» nicht mehr alle gemeint seien, die hier leben. Dann spreche man sich gegen Minderheiten aus und ziehe die Grenze um die «eigenen Leute» immer enger.
Die letzte Frage:
Und was, wenn man die «eigenen Leute» politisch gar nicht mehr erreicht? Die Frage richtet sich auch an SP-Vertreterin Mattea Meyer: «Wir müssen besser darin werden, klarer zu benennen, was die Realität ist: Dass nämlich die Elite die Bevölkerung bescheisst und eine widersprüchliche Politik macht.»
Im Publikum ist es schliesslich Karl-Heinz Hug, der jahrelang Politiker fotografiert hat und meint: «Wir haben so viele Juristen im Parlament und das Volk versteht sie einfach nicht. Wir sind nicht dumm. Aber wir haben doch so viele Blocher und Blocherlis im Land – die Amerikaner haben halt jetzt ihre Trumperlis.»