Nach den Anschlägen in Paris vor einer Woche setzt Moderator Jonas Projer in der «Arena» auf Persönlichkeiten fern der Politik. Was hat sich nach den Anschlägen in Paris – mit 132 Toten und über 300 Verletzten – verändert?
Ulrich Tilgner sagt, global gesehen sei Paris nur eine Episode. Denn letztes Jahr habe es weltweit 30‘000 Tote durch Terroranschläge gegeben. In der Woche vor Paris etwa seien in Beirut genauso viele Menschen getötet worden wie in Paris – doch das sei hierzulande kaum zur Kenntnis genommen worden.
Dem Terror fallen mehrheitlich Moslems zum Opfer – und nicht Leute im Westen.
Die Politologin Christina Schori Liang vergleicht die Anschläge von Paris mit jenen in Mumbai von 2008. Damals versetzten zehn Männer die Millionen-Metropole fast vier Tage lang in Angst und Schrecken. Schori Liang stellt fest: «Unsere Behörden können dies nicht verkraften.» Diese seien nicht stark genug.
Die letzte Frage
Die Politologin fragt in die Runde: «Warum kann eine Räuberbande, ein Mafia-Staat wie der IS, Frankreich so schaden? Wie ist das möglich?» Frankreich sei eine Supermacht. Sie findet zudem, dass die französische Antwort auf den Terror das Gegenteil bewirke.
Die Aufstockung des französischen Polizeiapparates und des Geheimdienstes nach den Anschlägen sei eine wirtschaftliche und politische Massnahme, so Schori Liang.
Die Ideologie des IS muss bekämpft werden. Ein englisches Sprichwort sagt, du kannst den Sänger töten, aber nicht das Lied. Wir müssen aber genau dieses Lied besiegen, das Kalifat, die Idee dieser räuberischen Bande.
Der Religionslehrer Bekim Alimi fordert Aktionen auf anderen Ebenen. Zum einen müsse etwas gegen den IS im Mittleren Osten getan werden und zum anderen gehe es jetzt darum, zu schauen, was zu Hause – in Paris, in Europa – getan werden müsse. Alimi bedauert, dass etwa in der Schweiz zu wenig mit der muslimischen Bevölkerung zusammengearbeitet werde.
In der Runde taucht auch die Frage auf, ob sich Muslime in Europa genügend von den Ideologien des IS distanzieren. Alimi sagt in Bezug auf die Schweiz: «Ich kenne keine islamische Organisation, die diese Distanzierung nicht gemacht hat.» Nur höre man davon nicht viel. Es stelle sich also die Frage, warum dies nicht geschehe.
Alimi spielt den Ball zurück. Vielmehr sei es so, dass bei öffentlichen Debatten über Muslime diese selbst kaum einbezogen würden. Gleichzeitig fordert er aber auch von muslimischen Organisation, ihre Hierarchien demokratisch zu gestalten und transparent zu machen.
Der Islam ist noch immer ein nicht anerkannter, nicht akzeptierter, noch immer fremder Teil der Schweiz.
Tilgner vermutet hinter der «halbherzigen Kritik» am Terror in der muslimischen Welt die religiöse Macht Saudi-Arabiens. «In bestimmten, von Saudi-Arabien finanzierten Kreisen traut man sich nicht, den IS zu kritisieren.» Denn die Strafen, die im Herrschaftsgebiet des IS vollzogen würden, seien Strafen, die auch in Saudi-Arabien praktiziert würden, so Tilgner.
Das sei etwa auch ein Grund, warum so viele muslimische Menschen aus den Kriegsregionen in Europa und nicht in Saudi-Arabien Zuflucht suchen würden. Tilgner ist überzeugt: Diese Menschen protestieren mit ihrem Fussmarsch nach Europa gegen die saudi-arabische Art der Religionsinterpretation.
Der Nahost-Experte sieht aber auch im Umgang des Westens mit dem arabischen Land Handlungsbedarf: Frankreichs Präsident François Hollande etwa spreche gegen den IS, fahre gleichzeitig aber nach Saudi-Arabien und verkaufe dort Rüstungsgüter für Milliardenbeträge. «Da passt etwas nicht zusammen.»
Es dauert sehr lange, bis jemand eine Suizid-Weste anzieht.
Mit Blick auf Europa fordert Schori Liang, dass es jetzt nicht primär darum gehen sollte, darüber zu diskutieren, wie sich die Attentäter bewaffnet hätten. Es gehe vielmehr darum, zu schauen, wie sie sich radikalisiert hätten. Bis ein Mensch so radikal werde, vergehe eine lange Zeit. «Entsprechend gibt es eine sehr lange Zeit, in welcher der Nachrichtendienst eingreifen kann», so die Politologin.
Adolf Muschg fordert zudem einen kulturkundlichen Unterricht in den Schulen. Es brauche etwa Gemeinschaftskunde. Muschg sagt: «Man sollte beispielsweise den Einfluss der arabischen Kultur auf unsere eigene Kultur anschauen – und man würde sehen, wie viel wir dieser Kultur verdanken.»
Wenn wir Muslime hierzulande darin unterstützen würden, dass sie die Traditionen ihrer Religion entsprechend ausüben könnten, hätten wir damit automatischen einen grossen Gegenschlag gegen die andere Seite erreicht.
Alimi pflichtet bei: Jugendliche müssten durch kulturelles und religiöses Wissen gestärkt werden. «Wer eine gestärkte Persönlichkeit hat, lässt sich nicht leicht manipulieren.»