Kein Integrationsmittel hat sich so bewährt wie Arbeit. Gerade für abgewiesene Asylsuchende mit Ausweis F, sogenannte vorläufig Aufgenommene, ist Beschäftigung ein wichtiger Bestandteil ihrer Integration. Finanzielle Selbstständigkeit ist nämlich Voraussetzung für eine Aufenthaltsbewilligung B.
Weil Integrationsmassnahmen Sache der Kantone ist, kommt es aber zu gravierenden Unterschieden. Ein Vergleich der kantonalen Erwerbsquoten zeigt: In Obwalden geht mehr als die Hälfte der vorläufig Aufgenommenen einer Arbeit nach. In den Kantonen Nidwalden und Schwyz liegen die Werte immerhin über 40%. Genf. Jura, das Tessin und die Waadt liegen dagegen jeweils weit unter dem schweizweiten Durchschnitt. Wie lässt sich dieses Gefälle erklären?
Arbeitslosigkeit: einer von vielen Faktoren
Auf den ersten Blick zeigt sich ein klarer Zusammenhang: Die generelle Arbeitslosigkeit in einem Kanton beeinflusst, wie oft Geflüchtete arbeiten. So arbeiten sie in Kantonen mit hoher Arbeitslosenquote – etwa Neuenburg oder Genf – deutlich weniger als der Durchschnitt. Obwalden oder Schwyz hingegen weisen tiefere Arbeitslosigkeit aus. Dort können sich Geflüchtete häufiger in den Arbeitsmarkt integrieren.
Die generelle Arbeitslosenquote hat einen leichten Einfluss auf die Erwerbsquote vorläufig Aufgenommener, sagt auch Denise Efionayi-Mäder vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien an der Universität Neuenburg. Allerdings komme es auch auf die Arbeitsmarktstruktur eines Kantons an.
In Kantonen mit viel Tourismus, Landwirtschaft und Stellen im Tieflohnbereich gibt es generell mehr Arbeitsmöglichkeiten. Oftmals werden diese Arbeitsplätze jedoch auch an Personen aus dem benachbarten Ausland vergeben. In der Westschweiz beispielsweise ist die Konkurrenz von EU-Bürgern aus Frankreich sehr gross, denn sie sprechen die Sprache und bekommen sehr schnell und einfach eine Arbeitsbewilligung.
Auch im Jura können vorläufig Aufgenommene kaum Fuss fassen. Grund dafür sei auch hier die Nähe zu Frankreich, wo viele Grenzgänger bereits in der traditionsreichen Uhrenindustrie integriert sind. Eine weitere Hürde sei auch die Infrastruktur, namentlich der gering ausgebaute öffentliche Verkehr. Um zur Arbeit zu kommen brauche man ein Auto. Und das könnten sich Geflüchtete ohne Beschäftigung nicht leisten, sagt Efionayi-Mäder.
Teilzeit als Problem
Weitere Unterschiede lassen sich auf die ungleichen Praktiken der Behörden zurückführen. Kantone, die vorläufig Aufgenommenen erst nach langer Zeit eine Aufenthaltsbewilligung B (anerkannte Flüchtlinge) ausstellen, weisen eine höhere Erwerbsquote für Personen mit Ausweis F (vorläufig Aufgenommene) auf.
Wichtig ist zudem das schnelle Ausstellen einer Arbeitsbewilligung. «Eine enge Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Arbeitsmarktbehörden ist für einen reibungslosen Prozess grundlegend», sagt Denise Efionayi-Mäder. «Die Arbeitgeber wollen kein Risiko eingehen und brauchen meist sehr schnell Personal.» Ein bürokratisches Hin und Her, wie es in manchen Kantonen Gang und Gäbe sei, hindere oftmals die schnelle Integration von vorläufig Aufgenommenen.
Ein besonderes Problem zeigt sich bei den Teilzeitpensen. «Gewisse Behörden erschweren den Zugang zu Teilzeitanstellen anstatt ihn zu fördern.» erklärt Efionayi-Mäder. Grund dafür sei oft kurzfristiges Budgetdenken. Wenn ein Geflüchteter mit Ausweis F eine Teilzeitstelle annehmen würde, zähle dies automatisch als Arbeit – und der Bund streicht dem Kanton die Sozialhilfepauschale. Weil ein Teilzeitler aber nicht für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen kann, müssten ihn am Ende die Kantone mit Sozialleistungen unterstützen.
Keine Pauschalantwort
Was klar ist: Eine einfache Erklärung für die grossen kantonalen Unterschiede gibt es nicht. Generell sei eine gute Zusammenarbeit mit Unternehmen und potentiellen Arbeitgebern ausschlaggebend, sagt Denise Efionayi-Mäder. «Durch Praktika beispielsweise könnten sich Arbeitgeber und Geflüchtete besser kennenlernen, denn was oftmals fehlt ist das Vertrauen.»
Tagesschau, 19.7.2017, 19.30 Uhr