Tempo 30 nicht nur auf Quartierstrassen, sondern auf allen Gemeindestrassen. Das wollen nun immer mehr Schweizer Städte und Gemeinden. Am 4. März stimmt beispielsweise das solothurnische Hägendorf darüber ab – und auch die Stadt Zürich will auf mehreren Hauptstrassen Tempo 30 einführen. Damit soll die Lärmbelastung für die Anwohner reduziert werden.
Doch die Autoverbände ACS und TCS laufen Sturm gegen das Zürcher Vorhaben und haben gegen die meisten dieser Projekte Einsprachen eingelegt. Eine Temporeduktion helfe nicht gegen Strassenlärm - sie führe lediglich dazu, dass der Verkehr nicht mehr fliessen kann.
«Tempo 30 kriminalisiert Automobilisten»
Reto Cavegn, Geschäftsführer der Zürcher Sektion des TCS, nennt drei Gründe, warum er sich kategorisch gegen Tempo 30 auf Hauptstrassen stellt. Erstes hebele Tempo 30 auf Hauptstrasse und innerorts flächedenkend die Strassenhierarchie auf und mindere so die Verkehrssicherheit. Weiter belaste Tempo 30 in Nicht-Spitzenzeiten die Kapazität der Strasse und kriminalisiere schlussendlich die Automobilisten.
«Die Strassen haben alle einen Zweck, ob Wohnstrasse oder Hauptstrasse, und wenn man jetzt alle Strassen gleichbehandelt, dann wird der Automobilist den nächsten Weg suchen. Er wird wieder durch die Wohnquartiere fahren.» Diese Strassen würden also dann wieder durch den Schleichverkehr belastet. Auch der Verkehrsfluss wäre an Nicht-Spitzenzeiten nicht mehr gewährleistet.
«Es macht nicht viel Sinn, wenn wir Millionen investieren, damit die Städte umfahren werden, und der Verkehr, der in die Stadt kommen muss, kann nicht bewältigt werden.» Deshalb müssten die Durchfahrtsstrassen eine gewisse Kapazität haben. Und die würde leiden, wenn Tempo 30 flächendeckend eingeführt würde. Vor allem an Nicht-Spitzenzeiten, an denen Autos sonst mit 50 km/h durchfahren könnten. Dass durch Tempo 30 der Lärm reduziert würde, bestreitet Cavegn. «Es ist viel wesentlicher wie man fährt und nicht wie schnell man fährt.»
Weniger Unfälle und weniger Verletzte
Wie sich das Tempolimit auf einer Hauptstrasse tatsächlich auswirkt, weiss man im bernischen Köniz. Seit 2005 gilt in der 40'000-Einwohner-Gemeinde im Zentrum Tempo 30. 18'000 Autos, Lastwagen und Busse nutzen die Haupt- und Kantonsstrasse, die auch eine Hauptverkehrsachse ist, täglich. Fussgängerstreifen und Ampeln gibt es hier keine. Passanten können die Strasse dort überqueren, wo sie wollen. Ist das kein Sicherheitsrisiko?
Fritz Kobi, damaliger Projektleiter der Tempo-30-Zone in Köniz, der grössten Agglomerationsgemeinde der Schweiz, hat eine klare Antwort: Nein. Und kann diese auch belegen. Vorher-Nachher-Untersuchungen haben ergeben, dass sich heute rund ein Drittel weniger Unfälle ereignen, mit 40 Prozent weniger Verletzten.
«Leute nehmen mehr Rücksicht aufeinander»
Diese Entwicklung erklärt sich Kobi aufgrund der Untersuchungen folgendermassen: «Erstens schauen die Leute, aber auch die Autofahrer wieder aufeinander. Sie bauen wieder Blickkontakt auf.» Zweitens kann man bei tieferen Geschwindigkeiten sofort anhalten. Der Anhalteweg ist also sehr kurz. «Und drittens sind die Autofahrer eher dazu bereit bei Tempo 30 ein wenig vom Gas zu gehen und einen Fussgänger über die Strasse zu lassen.»
Vorher galt auf der Hauptsstrasse im Zentrum 50km/h. Trotzdem brauchten laut Kobi die Autofahrer nicht weniger Zeit als heute, um das kommerzielle und stark frequentierte Zentrum zu überqueren. Im Gegenteil. «Als noch Fussgängerstreifen da waren, zwangen Passanten die Autos immer wieder anzuhalten. Jetzt aber funktioniert alles im Fluss.» Die Autos fahren langsam und so gibt es viel weniger Störungen. Deshalb fahren Autos heute zwar mit einer tieferen Geschwindigkeit, kommen aber trotzdem schneller durch Köniz.
Auch die Kapazität der Strasse sei dieselbe geblieben. Und Fahrten über mögliche Ausweichrouten seien auch keine beobachtet worden. «Weil man eben jetzt durch Köniz fast rascher kommt als vorher.» Auch der Lärm für die Anwohner der Strasse sei halbiert worden, wie Messungen ergeben haben.