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Bei Ärzten nachgefragt Warum werden Corona-Patienten auf Intensivstationen immer jünger?

Viele Covid-Patienten auf den Intensivstationen sind um die 40 Jahre alt. Zwei Intensivmediziner über mögliche Gründe.

Das Infektionsgeschehen in der Covid-19-Pandemie verlagert sich zunehmend zu den Jüngeren. Das zeige sich besonders bei den Hospitalisationen, betonte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) an der Medienkonferenz vom Dienstag. Zudem müssten immer mehr jüngere Leute auf die Intensivstationen. SRF News hat bei Intensivmedizinern nachgefragt, warum das so ist.

Auf der Intensivstation des Universitätsspitals Basel etwa liegt das Alter der Covid-19-Patientinnen und -Patienten derzeit meist zwischen 50 und 70 Jahren statt wie vorher zwischen 70 und 90 Jahren, am Universitätsspital Zürich (USZ) gibt es auch deutlich mehr 30- bis 40-Jährige auf den Intensivstationen.

«Die Gründe sind die zunehmende Durchimpfung der Gruppe über 80 und, als weitere Vermutung, die relative Sorglosigkeit der Altersgruppe zwischen 50 und 70», sagt Hans Pargger, Chefarzt der Intensivstation am Basler Unispital und Mitglied der Science Task Force. Diese Sorglosigkeit könne sich besonders in der Gruppe mit Risikofaktoren und noch ohne Impfung schädlich auswirken.

Zwar sei die Lage auf der Basler Intensivstation stabil, so Pargger. Die Herausforderung bestehe aber darin, ein Gleichgewicht zwischen einem Anstieg im Rahmen einer dritten Welle und dem Bedarf an geplanten Operationen zu finden, die einen Intensivaufenthalt nötig machen.

Reto Schüpbach, Leiter der Intensivmedizin am Zürcher Unispital, sieht den Grund für die immer jüngeren Hospitalisierten vor allem in der britischen Virus-Mutation B.1.1.7. Diese sei ansteckender und virulenter, und könne auch bei jüngeren Menschen zu schweren Verläufen führen.

Was wirklich auffällt, ist, dass wir deutlich mehr Junge in der Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen auf den Intensivstationen sehen.
Autor: Reto Schüpbach Leiter der Intensivmedizin am Universitätsspital Zürich

Der Impfeffekt bei den Älteren hat seiner Ansicht nach weniger mit dem Anstieg bei den Jüngeren zu tun: «Was zurzeit wirklich auffällt, und das lässt sich mit dem Impfen nicht erklären, ist, dass wir deutlich mehr Junge, damit meine ich die Altersgruppe der 30- bis 40-Jährigen, auf den Intensivstationen sehen», so Schüpbach. Es gehe hier nicht einfach um eine Verschiebung der prozentualen Anteile, sondern um einen effektiven Anstieg in dieser Altersgruppe.

Viele jüngere Menschen würden zu lange warten, bis sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, vermutete Rudolf Hauri, Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, an der Medienkonferenz am Dienstag. Das habe vielleicht während des Shutdowns in der ersten Corona-Welle einen Effekt auf die Zahlen gehabt, sagt Intensivmediziner Schüpbach, momentan jedoch eher nicht.

Er vermutet, dass der Anstieg der Zahlen vielmehr auch mit dem lockeren Umgang mit den Hygienemassnahmen sowie der effizienteren Ansteckung von Corona-Mutanten zu tun haben könnte: «Diese könnten zu einem Sicherheitsgefühl führen und dazu verleiten, die bekannten Hygienemassnahmen weniger strikt einzuhalten.»

Stationen stossen an ihre Grenzen

Auf den Intensivstationen des USZ sind Schüpbach zufolge derzeit rund ein Viertel der Betten durch Covid-19-Patientinnen und -Patienten belegt. «Gleichzeitig sind wir durch Non-Covid-Patienten, namentlich durch schwer kranke Herzpatientinnen, die aus anderen Spitälern oder durch Blaulichtorganisationen ans USZ verlegt werden, stark belegt und stossen deshalb an unsere Grenzen», betont der Leiter der Intensivmedizin.

Am Mittwochnachmittag hätte man nur noch zwei Intensivbetten frei gehabt – zu wenig für ein grosses Transplantationszentrum. Im Vergleich zur zweiten Welle geschehe der Patientenanstieg zwar langsamer, und man habe kaum über 80-jährige Patienten. «Dafür sind die Patientinnen, die zu uns kommen, schwer krank», sagt Schüpbach.

SRF 4 News, 20.04.2021, 18 Uhr

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