Sie sei eine gesellige Frau, die gerne mit anderen Kaffee trinke und mindestens zweimal täglich spazieren gehe, erzählt die Tochter der 85-jährigen Bewohnerin eines Pflegeheims im Kanton Schwyz gegenüber dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».
Sie habe sich noch auf ein paar schöne Jahre im Heim gefreut. Dann kam Corona, und die Freiheit der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen wurde stark eingeschränkt. Unterdessen konnten sich aber alle Personen in diesem Heim für eine Corona-Impfung entscheiden.
«Die persönliche Freiheit ist ein Grundrecht»
Die 85-jährige Frau entschied sich dagegen, berichtet ihre Tochter: «Sie sagt sich: Ich bin 85 und darf sterben. Ich bin bereit zu sterben, und wenn es Corona sein sollte, dann ist es Corona.» Sie habe auch eine Patientenverfügung gemacht, in der sie einen Aufenthalt im Spital klar ablehne. Sie nehme also niemandem den Platz weg, ergänzt die Tochter.
Drei Viertel dürfen wieder in den Speisesaal
Vor Kurzem dann haben die Angehörigen von der Heimleitung einen Brief erhalten. In dem Papier, das auch «Espresso» vorliegt, heisst es, dass 75 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner bereits zweimal geimpft seien. Für sie könnten nun die Massnahmen gelockert werden, so müssten Bewohner nach auswärtigen Besuchen nicht mehr in Quarantäne. Gemeinsames Kaffeetrinken sei wieder möglich, ebenso sei der Speisesaal für Geimpfte wieder offen.
Heisst umgekehrt: Für die 25 Prozent, welche sich gegen eine Impfung entschieden hatten, gelten weiterhin alle Massnahmen. Die Tochter fragt sich nun, ob dies überhaupt zulässig ist.
Expertin sieht keinen Grund für Einschränkungen
Die Frage der Tochter ist wichtig und berechtigt. Auskunft darüber kann die Präsidentin der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin, Andrea Büchler, geben. «Espresso» trifft die Professorin für Privatrecht an der Universität Zürich zum Interview.
Auf die Frage, ob es zulässig ist, nur den Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben, antwortet die Ethikerin: «Wenn die Durchimpfungsrate hoch ist in den Institutionen, und wenn der Schutz durch die Impfung gewährleistet ist, gibt es keinen Grund mehr, diese Grundrechte, die Bewegungsfreiheit, die Möglichkeit für soziale Kontakte, einzuschränken. Auch nicht bei denen, die ganz bewusst auf die Impfung verzichten.» Das sei ein selbstbestimmter Entscheid und die Betroffenen gefährden damit höchstens sich selber, alle anderen schützen sich ja durch die Impfung.
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Die Sicht der Ethikerin auf die Corona-Impfung
Ist es zulässig, nur Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben? Diese und andere Fragen beantwortet Andrea Büchler im ausführlichen Interview mit «Espresso».
Die aktuelle Diskussion um die Impfung und die damit verbundenen Konsequenzen sei wichtig und dürfe nicht moralisch oder wertend geführt werden. Jeder Mensch darf selbstbestimmt über seinen Körper entscheiden. Tatsache ist aber auch: Nur wenn ein Grossteil der Bevölkerung mitmacht und sich impfen lässt, lassen sich die einschränkenden Massnahmen für alle aufheben. Falsch sei es, von Privilegien für Geimpfte zu sprechen, differenziert Andrea Büchler: «Die persönliche Freiheit ist kein Privileg, sondern ein Grundrecht.»