Diesen Montag begann im Parlament des Europarats die Frühlingssession. Auf dem Traktandum dick angestrichen: Die Käuflichkeit von Ratsmitgliedern. Hinter vorgehaltener Hand beschuldigen sich die Abgeordneten gegenseitig. Wegen angenommener Geschenke, Geldzahlungen und bezahlten Reisen.
Ratspräsident Pedro Agramunt wehrte sich stets gegen eine unabhängige Untersuchung – nun gerät er selber unter Druck. Bei der Eröffnung der Session am Montag musste er den Vorsitz des Rates unter Protesten abgeben. Ein unerhörter Vorgang und ein Misstrauensbeweis sondergleichen.
Schmiergelder, Wahlbetrug, Stimmenkauf – der Europarat ist nicht mehr fähig, diese Entwicklung zu bekämpfen.
SVP-Nationalrat Alfred Heer, Präsident der schweizerischen Parlamentarierdelegation im Europarat, äussert sich konsterniert: «Es sitzen mittlerweile Länder mit anderen Wertvorstellungen im Europarat, die nicht mit der Menschenrechtskonvention kompatibel sind. Schmiergelder, Wahlbetrug, Stimmenkauf – der Europarat ist nicht mehr fähig, diese Entwicklung zu bekämpfen.»
Aserbaidschan als Urheber
Den Skandal ausgelöst hat ein Bericht über politische Gefangene und Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan. Ein Bericht notabene, den der Rat selber in Auftrag gegeben hatte und den eine Ratskommission ausarbeitete. Das Parlament aber lehnte den Bericht 2013 völlig überraschend ab. Überraschend auch, weil das Parlament für einmal fast vollzählig anwesend war.
Vor allem Vertreter aus Ländern wie Russland und der Türkei erschienen ausnahmsweise fast vollzählig. Schnell vermutete man, dass Bestechung seitens des Beschuldigten Aserbaidschans im Spiel sein müsse. Der Verfasser des Berichts, der damalige Abgeordnete Christoph Strässer, erinnert sich: «Einige Minuten nachdem mein Bericht vom Parlament abgelehnt wurde, stand der Abgeordnete aus Aserbaidschan auf, drehte sich zu mir um und sagte: ‹Siehst du, das ist nicht Strässers Europarat, dies ist der Europarat von Aserbaidschan!»
Zuerst dachte ich, es sei nur Kitsch. Dann realisierte ich, dass es eine echte Goldkette war.
Auch FDP-Nationalrätin Doris Fiala, die für die Schweiz in der Versammlung des Europarats sitzt, wurde Ziel eines Bestechungsversuches. Sie erhielt von den aserbaidschanischen Vertretern eine Goldkette, wie sie jetzt gegenüber der «Rundschau» schildert: «Zuerst dachte ich, es sei nur Kitsch. Dann realisierte ich, dass es eine echte Goldkette war, mit einer echten Perle und Brillanten. Ich brachte die Kette bei der nächsten Session dann umgehend zurück», so Fiala.
Italiener erwartete 10 Millionen
Doch nicht alle Europaparlamentarier verhalten sich so mustergültig. Nun soll der Italiener Luca Volontè, ehemaliger Präsident der Europäischen Volkspartei im Europarat, wegen Bestechung angeklagt werden. Als Vorsitzender der zweitgrössten Fraktion im Rat hatte er entscheidenden Einfluss auf fast 200 Mitglieder.
Der zuständige italienische Staatsanwalt versucht die Klage durchzusetzen, obwohl sich Volontè auf seine Immunität beruft und die Anschuldigungen zurückweist. Gemäss der Anklage nahm Volontè Geld in der Höhe von 2,39 Millionen Euro an. Im Gegenzug sollte er Berichte und Resolutionen über Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan verhindern. In einem TV-Bericht der italienischen Rai gibt Volontè selber zu, insgesamt 10 Millionen Euro von Aserbaidschan erwartet zu haben – allerdings für ganz legale Geschäfte.
Verstoss gegen die eigenen Ideale
Die ehemalige Ratspräsidentin und jetzige Abgeordnete Anne Brasseur (Luxemburg) sieht in der Korruption eine der grössten Gefahren für demokratische Gesellschaften. Darum bestehe sie auf eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe. Das weitere Vorgehen sei für die Zukunft des Europarates entscheidend, so Brasseur zur «Rundschau». «Wie sollen wir sonst glaubwürdig sein?» Schliesslich sei der Europarat Hüter nicht nur der europäischen Menschenrechte, sondern auch der Rechtsstaatlichkeit nach europäischen Standards.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit stellen auch die die Schweizer Parlamentarier im Europarat. Als erste forderten sie eine Untersuchung. Delegationsleiter Heer sieht das Grundproblem darin, dass zu viele Mitgliedsländer die europäischen Werte nur auf dem Papier vertreten, diese aber zu Hause nicht anwenden würden.
Der Rat hat jetzt eine unabhängige Expertengruppe mit der Aufklärung der Korruptionsvorwürfe beauftragt. Bis spätestens Ende Jahr sollte ihr Bericht der Öffentlichkeit vorliegen.