Mit einer unerwartet positiven Bilanz beweist der Bund, dass er mit Geld zwar umgehen kann, doch seine Rechenkünste mögen einem zu denken geben. Erinnert man sich nämlich an dessen Prognose zurück, hat er sich nicht etwa um ein bisschen verschätzt – er hat um fast zwei Milliarden Franken daneben gelegen.
Umso bedenklicher, dass sich der Bund nicht zum ersten Mal irrt, sondern mit seinen Voraussagen seit Jahren den effektiven Haushalt verfehlt. Ein Blick auf die vergangenen 10 Jahre zeigt: Bemessen an den Voranschlägen hätte der Bund in dieser Zeitspanne ein Defizit von insgesamt 218 Millionen Franken erwirtschaften müssen. Tatsächlich hat er jedoch einen Überschuss von 27 Milliarden Franken erzielt.
Bundesbudget: Prognosen und Ergebnisse 2006 – 2015
Jahr | Voranschläge des Bundes (Mio. Fr.) | Ordentliches Finanzierungsergebnis (Mio. Fr.) | |
---|---|---|---|
2006 | –586 | 2534 | |
2007 | 904 | 4127 | |
2008 | 1122 | 7297 | |
2009 | 949 | 2721 | |
2010 | –2029 | 3568 | |
2011 | –646 | 1912 | |
2012 | –14 | 1262 | |
2013 | –450 | 1332 | |
2014 | 121 | –124 | |
2015 | 411 | 2337 |
Wie kann es sein, dass sich der Bund um Milliarden verrechnet? Laut Christian Keuchschnigg, Professor für Nationalökonomie an der Universität St. Gallen, ist es grundsätzlich schwierig, ein staatliches Haushaltbudget zu erstellen. Dass der Staat in jüngster Zeit fast notorisch mit Überschüssen überrascht statt das prophezeite Minus verbucht, erklärt er wie folgt.
Zunächst mag der Bund in Rechnung stellen, «dass die laufende Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben von vielen Unwägbarkeiten abhängt.» Ungeahntes, wie etwa aktuell die Migration, könne das Budget belasten, und der Bund würde, indem er die Risiken erwägte, entsprechend vorsorgen.
Die sparsame Haltung des Schweizers zeigt sich ja auch immer wieder bei den Volksabstimmungen.
Vorfinanzierung grösserer Reformen
«Ferner sind», so Keuschnigg, «die definitiven Rechnungen des Bundes Ausdruck dafür, dass in der Schweiz, im Gegensatz zu anderen Staaten, die Schuldenbremse wirkt.» Die Fiskalregel ist seit 2003 in Kraft und verpflichtet den Bund, Einnahmen und Ausgaben über den Konjunkturzyklus hinweg im Gleichgewicht zu halten.
Weiter hätten die niedrigen Zinsen in jüngerer Zeit Ausgabeneinsparungen bewirkt. Darüber hinaus können die Einsparungen auch mit einer teilweisen Vorfinanzierung grösserer Reformen motiviert werden. «Der Bund geht wohl davon aus, dass namentlich die Unternehmenssteuerreform III kostspielig wird.» Hier werde via Sparrunden eine spätere steuerliche Entlastung angestrebt, um den Wirtschaftsstandort Schweiz attraktiver zu machen.
Typisch schweizerischer Hang zum Sparen
Ferner suche der Bund Mittel zu beschaffen, um mit Grundlagenforschung und Innovationsförderung die Auswirkungen des harten Frankens abzufedern. Und «schliesslich lassen sich die Überschüsse vielleicht auch dadurch erklären, dass der Bund mit laufend mehr öffentlichen Ausgaben, zum Beispiel im Zuge der Alterung der Gesellschaft, rechnet und gerade deshalb rechtzeitig auf die Bremse steht.»
Also alles Kalkül, wenn das Finanzdepartement alljährlich den «Worst Case» beschwört? Nicht nur, sagt Keuschnigg. Tatsächlich brächten die unverhofften Überschüsse auch den typisch schweizerischen Hang zum Sparen zum Ausdruck: «Die sparsame Haltung des Schweizers zeigt sich ja auch immer wieder bei den Volksabstimmungen, wenn das Volk etwa öffentliche Mehrausgaben oder eine zusätzliche Ferienwoche ablehnt.»
Wenn man zu sehr spart und immer nur auf einer Seite irrt, dann hat der Bund irgendwann ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Ganz grundsätzlich erachtet Keuschnigg die «vorsichtige Haushaltsplanung» für lobenswert. «Es ist ja gut», betont er, «wenn der Staat Ausgaben für plötzliche Notwendigkeiten einplant und die Aufwendungen nicht eintreten, die er vorbeugend budgetiert hat.» Viele andere Länder würden schliesslich genau das Gegenteil tun.
Für die Politiker, die den Bund je länger je mehr für sein «Schlechtreden» (SP) und «Schwarzmalen» (CVP) rügen, hat er dennoch Verständnis. «Wenn die Überraschungen durchwegs positiv sind, dann muss man sich schon fragen, wie diese systematischen Irrungen zustande kommen.» Und er pointiert: «Wenn man zu sehr spart und immer nur auf einer Seite irrt, dann hat der Bund irgendwann ein Glaubwürdigkeitsproblem.»
Die undankbare Aufgabe des Bundes
Mehr noch als das «wieviel» (der zusätzlichen Mittel) dürfte die Politiker aber die Frage nach dem «wozu» (das unerwartete Geld) umtreiben. Politiker von links bis rechts sind sich mitnichten eins, was damit getan werden soll.
Laut Keuschnigg ist die Frage nach dem Surplus wie die Frage nach dem Haushalt schlechthin seit jeher eine «weltanschauliche». Dem Bund kommt auf jeden Fall «die undankbare Aufgabe» zu, dafür zu sorgen, dass die Verteilung allen «gleich weh tut», respektive allen gleich viel Freude bereitet.