Die Corona-Krise schlägt auf das Gemüt. Davor warnten Fachleute bereits zu Beginn der Pandemie. Die Befürchtung: Es könnte eine Welle von ernsthaften psychischen Erkrankungen auf uns zukommen.
Wie beim freischaffenden Künstler Christian: «Ich verstehe Menschen, die sich das Leben genommen haben in dieser Zeit, ich habe oft daran gedacht.» Oder bei der Studentin T.: «Ich hatte keine Kraft mehr, mich zu regulieren, da kamen so viele Belastungen auf die obendrauf, die ich schon vorher hatte. Da ist es wie in sich zusammengebrochen.»
Nun zeigt eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit, die in den nächsten Tagen veröffentlicht wird: Die Mehrheit der Bevölkerung bewältigt die Krise gut. Aber:
- Die Corona-Krise verstärkt psychische Vorbelastungen, sie wirkt als Katalysator.
- Info-Plattformen und niederschwellige Hilfsangebote werden deutlich mehr genutzt. Die Nutzerzahlen liegen zum Teil doppelt so hoch wie im Jahr zuvor.
- Es gibt Hinweise, dass Suizidgedanken zugenommen haben.
Höhere Nachfrage nach psychologischer Unterstützung
Die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung hat in der Pandemie deutlich zugenommen. Zumindest zeigt das eine eben durchgeführte Befragung bei den Mitgliedern der Föderation Schweizer Psychologinnen und Psychologen FSP.
«46 Prozent derjenigen, die wir angefragt haben, geben an, dass sie mehr bis deutlich mehr Anfragen seit dem Frühsommer haben», sagt Yvik Adler, Co-Präsidentin der FSP. «71 Prozent müssen Leute abweisen, die haben keinen Platz mehr für Behandlungen. Und 31 Prozent geben an, dass es Neuerkrankungen aufgrund der Coronakrise sind.»
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Die Kinder und Jugendpsychiatrie ist überbelegt
In den psychiatrischen Kliniken hingegen sieht man bisher offenbar keine Zunahme, ausser in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, weiss Susanne Walitza, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Zürich. «In unserer Klinik haben wir gerade im Notfalldienst jetzt schon eine Zunahme von 36 Prozent aufs Jahr hochgerechnet und wir befürchten, dass es noch mehr wird.»
Ein Blick auf die Belegung der stationären Plätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie: «Jeder Platz ist besetzt und die Stationen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich sind überbelegt», sagt Susanne Walitza. «Aber auch in Lausanne, in Genf, in Basel. Das sehen wir in der ganzen Schweiz.»
Mehrere Grundbedürfnisse geraten ins Wanken
Das Schlimme an der aktuellen Pandemie: Es sind gleich mehrere menschliche Grundbedürfnisse bedroht. «Das eine ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrollierbarkeit. Das ist im Moment sicher belastet. Das andere nach Nähe, Zugehörigkeit und sozialem Leben ist auch eingeschränkt. Und das dritte ist das Bedürfnis nach Selbstbestimmung, Selbstgestaltung, Selbststeuerung, das ist auch ein wichtiges Grundbedürfnis», sagt Yvik Adler. «Die drei, die reiben sich im Moment aneinander.» In der aktuellen Situation sei es sehr schwierig, diese Grundbedürfnisse in Einklang zu bringen.