Es ist ein historischer Streit, ein jahrzehntealter Konflikt, der bald zu Ende gehen soll. So sagen es zumindest die Berner und die jurassische Kantonsregierung. Am 18. Juni stimmt das Städtchen Moutier über einen Wechsel vom Kanton Bern zum Kanton Jura ab.
Und plötzlich war der Kanton Jura Realität
François Lachat, erster Regierungspräsident des Kantons Jura und Alt-CVP-Nationalrat, erinnert sich zurück an den Herbst 1978, als der Kanton Jura Wirklichkeit wird und Tausende Menschen auf dem Platz vor dem Rathaus jubeln.
Ein Sieg auf der ganzen Linie war das, ein unbeschreibliches Gefühl.
1815 sei man noch auf den Knien zur Schweiz gestossen. Aber dann habe die Schweiz den Jura endlich als vollwertiges Mitglied aufgenommen.
Seit der Jura am Wiener Kongress 1815 den Bernern zugesprochen wird, schwelt der Konflikt. Die Jurassier fühlen sich von Bern diskriminiert und vernachlässigt. Offen bricht der Streit schliesslich 1947 aus, weil ein jurasisches Regierungsmitglied bei der Departementsverteilung in der Bernischen Regierung übergangen wird.
Ein Konflikt, der Familien entzweit
Darauf bilden sich auf beiden Seiten Gruppierungen, die zuerst mit meist symbolischen Aktionen für ihre Ziele kämpfen. François Lachat, der sich immer schon von Gewalt distanziert hat, gibt heute zu, dass er selbst als junger Aktivist dabei war: 1964 in Les Rangiers, als jurassische Separatisten eine Veranstaltung des damaligen Bundesrates stören und eine Ansprache des Vorstehers des Militärdepartementes verhindern.
Er habe zwar ausgerufen und geschrien, aber keine Gewalt angewendet, betont Lachat. Doch bald darauf verüben jurassische Extremisten Sprengstoff-Anschläge und begehen Brandstiftungen. In der Region entsteht ein Klima der Angst. Der Konflikt entzweit Familien, Dörfer, spaltet die Region, beherrscht die politische Diskussion – die Frage «Berner oder Jurassier» dominiert das tägliche Leben. Mehrmals kommt es zu schweren Krawallen.
Im Unterschied zu ähnlich gelagerten Krisenherden im Ausland weitet sich der Jurakonflikt allerdings nicht aus. Im Gegenteil: In den 1990er-Jahren beginnt unter Führung des Bundes der bis heute erfolgreiche Versöhnungsprozess.
Fundus der Widerstandskämpfer
Einen offeneren Umgang mit der Vergangenheit zeigt auch Jean-Pierre Graber. Er öffnet die Luke zu einem kalten Dachstock im Berner Jura und gewährt einen überraschenden Einblick in die Erinnerungen und Geheimnisse der Berntreuen.
Es ist das Archiv der «Force Démocratique», der berntreuen Widerstandsorganisation, die jahrzehntelang für den Verbleib des Juras im Kanton Bern kämpfte. Und dabei ebenso unzimperlich vorging wie die jurassische Gegenseite. Graber hat die Auseinandersetzungen als Sympathisant der Berntreuen von nahe verfolgt. Seit drei Jahren ist der ehemalige SVP-Nationalrat Präsident der «Force Démocratique».
Nun steht Graber vor diesem Papierberg, der Bundesordner, Kisten, Dossiers, Papierstapel. Zeitungsartikel, Sitzungsprotokolle, Pamphlete und Strategiepapiere umfasst. Es sind 70 Jahre Jura-Geschichte – aus strikt berntreuer Sicht.
Die Dokumente sind ein Spiegel der Zeit.
Er wäre durchaus bereit, dieses Archiv der Forschung zur Verfügung zu stellen, am liebsten Berner Forschenden.
Es bleiben Zweifel
Der historische Jura-Konflikt ist mit der Abstimmung in Moutier vorbei, so sagen es also zumindest die Berner und die jurassische Kantonsregierung. Wirklich? Der Jurassier Lachat ist sich nicht sicher. Denn eine Minderheit im Süden wolle nach wie vor zum Kanton Jura wechseln, und zwar nicht nur in Moutier.
Es kommt drauf an, sagt auch der Berner Jean-Pierre Graber, der für einen Verbleib Moutiers im Kanton Bern kämpfen will. Dann steigt er die wacklige Treppe wieder hinunter und schliesst die Dachluke zum Vermächtnis der Force Démocratique. Man werde sehen. «On verra».
So ging die historische Abstimmung am 24. September 1978 aus: