Palästina zwischen Würenlingen und Zarqa
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Bild 1 von 10. Fotografen dokumentieren die Einschusslöcher der El-Al-Maschine 432. Am 18. Februar 1969 kommt die Weltpolitik nach Zürich: Vier Kämpfer der militanten «Volksfront zur Befreiung Palästinas» (PFLP) eröffnen kurz vor Take-Off das Feuer mit AK-47 auf das Flugzeug in Kloten mit Destination Tel Aviv. Ein Crewmitglied starb später an den Verletzungen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 10. Rekonstruktion der Ereignisse: Ein Attentäter starb vor Ort durch den israelischen Undercover-Flugsicherheitsbegleiter, Mordechai Rachamim (rechts im Gespräch mit Polizisten). Dieser war vom Flugzeug aus bewaffnet auf die Angreifer zugerannt. Er wurde zusammen mit den drei überlebenden Attentätern (links im Bild) festgenommen... Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 10. Rachamim (rechts) wird freigesprochen – hier verlässt er im Dezember 1969 das Bezirksgericht Winterthur. Diplomatisch ist der Fall heikel, weil er im Auftrag eines anderen Staates in der Schweiz gehandelt hatte. Israel muss zum ersten Mal zugeben, dass es Flugsicherheitsbegleiter auf Flügen mitschickt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 10. Die Attentäter wurden zu je zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, so auch Amena Dabhor. Die sekuläre «Volksfront für die Befreiung Palästinas» (PFLP) ist eine Gruppierung des Dachverbandes «Palästinensische Befreiungsorganisation» (PLO). Die militanten Aktionen der PFLP sollten medial auf die Anliegen der Palästinenser aufmerksam machen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 10. In Würenlingen (AG) stürzte der Swissair-Flug 330 nach einer Bombendetonation an Bord am 21. Februar 1970 ab. Das Sprengstoff-Paket hatte eigentlich der israelischen El Al gegolten, wurde aber wegen Verspätungen auf die Swissair-Maschine umgeleitet. 38 Passagiere und 9 Crewmitglieder starben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 10. Bergung und Sortierung der Trümmer und Leichenteile bei der Absturzstelle im Wald: Die Schweizer Bundeskriminalpolizei konnte zwar die beiden mutmasslichen Attentäter identifizieren, aber nie verhaften. Die Ermittlungen wurden 2000 eingestellt. In Deutschland läuft das Verfahren weiterhin, die mutmasslichen Täter werden per Haftbefehl gesucht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 10. Schrecken und Neugier zugleich: Schaulustige am 22. Februar 1970 in Würenlingen. Wenige Monate nach dem Anschlag vermittelte Jean Ziegler, damals frisch im Nationalrat, zwischen der PLO und Bundesrat und Aussenminister Pierre Graber. In einem Stillschweigeabkommen wurde der Schweiz versichert, dass sie von weiteren Anschlägen verschont würde. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 10. Im Gegenzug sollte die Schweiz der PLO bei der internationalen Anerkennung in Genf helfen. In Würenlingen wurde ein Jahr nach dem Anschlag ein Denkmal auf der Absturzstelle errichtet (Im Bild noch verhüllt). Doch noch sollte Würenlingen nicht der letzte Berührungspunkt der Schweiz mit einer palästinensischen Guerilla-Gruppe sein. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 10. Im September 1970 wurden drei Flugzeuge auf dem Weg nach New York und London von der PFLP entführt und auf dem Flugfeld «Dawson's Field» in der Nähe von Zarqa in der jordanischen Wüste zwangsgelandet. Die Passagiere und die Crews von drei Flugzeugen wurden als Geiseln gehalten – die 310 Geiseln blieben jedoch unverletzt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 10. Die Geiseln wurden evakuiert, die Maschinen mit Zeitbomben gesprengt. Es gab einen Deal: Die Palästinenseraktivistin Leila Khaled wurde freigelassen – ebenso die drei Attentäter von Kloten. Die letzten Schweizer Geiseln kehrten am 26. September in die Heimat zurück. Vier Tage später flogen die drei Attentäter nach Kairo, wo sich ihre Spur verliert. Bildquelle: Keystone.
SRF News: Warum wurden Ihrer Ansicht nach die Ermittlungen im Fall Würenlingen eingestellt?
Marcel Gyr: Ich decke in meinem Buch Folgendes auf: 1970 gab es geheime Verhandlungen zwischen hohen Vertretern der Schweiz und der PLO. Diese Gespräche haben zu einem Stillhalteabkommen geführt. Was die Auswirkungen auf Würenlingen waren, müsste man sehr lange diskutieren. Aber die Hinweise sind für mich klar, dass dies auf das Strafverfahren in Würenlingen Einfluss gehabt hat.
Jean Ziegler hat den Kontakt zwischen der PLO und Bundesrat Graber hergestellt.
In Ihrem Buch schreiben Sie, Bundesrat Pierre Graber und Nationalrat Jean Ziegler seien in diese Verhandlungen involviert gewesen. Was waren genau ihre Rollen?
Die Rollen waren relativ klar verteilt. Jean Ziegler hat den Kontakt zwischen der PLO und Bundesrat Graber hergestellt. Er hat beide sehr gut gekannt – die palästinensische Seite privat und Graber durch die gemeinsame Fraktionstätigkeit im Nationalrat.
Die PLO hat zugesichert, dass die Schweiz vor weiteren Anschlägen verschont wird. Im Gegenzug hat die Schweiz in Aussicht gestellt, dass man die PLO auf diplomatischer Ebene unterstützen wird.
Nach den Verhandlungen gab es ein Abkommen zwischen der PLO – damals notabene klar eine Terrororganisation – und den Akteuren um Bundesrat Graber. Was war der Inhalt dieses Abkommens?
Das Abkommen wurde per Handschlag besiegelt. Es gibt vermutlich kein schriftliches Dokument. Deshalb ist es nicht ganz einfach und wir müssen uns auf Zeitzeugen abstützen. Der Inhalt war folgender: Die PLO hat zugesichert, dass die Schweiz vor weiteren Anschlägen verschont wird. Im Gegenzug hat die Schweiz in Aussicht gestellt, dass man die PLO auf diplomatischer Ebene unterstützen wird, insbesondere mit der Errichtung eines Büros am UNO-Sitz in Genf.
Wo ist der Zusammenhang mit der Strafuntersuchung von Würenlingen und diesem Abkommen?
Da müssen wir genau sein: Es gibt keinen abschliessenden Beweis. Jedoch gibt es diverse Hinweise, die ich in meinem Buch aufführe, die darauf hinweisen, dass es einen Zusammenhang gibt.
Zum Beispiel?
Das sind die personellen Verflechtungen: Bei den geheimen Verhandlungen in Genf war Bundesanwalt Hans Walder dabei. Dieser Herr Walder hätte zur gleichen Zeit Anklage erheben müssen gegen eine Person, die ein Namensvetter des Verhandlungspartners war. Beide heissen Kaddoumi, kommen aus demselben Dorf und sind vermutlich Cousins. Das ist aber nur einer von diversen Hinweisen, die darauf schliessen lassen, dass die Anklage im Fall Würenlingen verhindert worden ist.
Aus der Sicht von Jean Ziegler war es eine Win-win-Situation.
Sie sagen also, dass ein Bundesrat und ein Nationalrat, um die Schweiz vor weiteren Terroranschlägen der PLO zu schützen, ein Justizverfahren gestoppt haben.
Diese These stelle ich tatsächlich in den Raum. Aus der Sicht von Jean Ziegler war es eine Win-win-Situation. Er hat sowohl der Schweiz geholfen, weil es später keine weiteren Anschläge mehr gegeben hat. Er hat aber auch der PLO geholfen, weil er ihr den Zugang nach Genf verschaffen hat. Dabei wurde vergessen, dass es Angehörige von Absturzopfern gibt. Dieses Schicksal war den Leuten damals und auch die folgenden 45 Jahre nicht bewusst. Das ist der Makel dieses Abkommens.
Was waren Ihre Quellen für die Recherchen? Was sagt beispielsweise Jean Ziegler konkret?
Es gibt verschiedene mündliche Quellen. Einige kann ich offenlegen. Das ist, wie Sie gesagt haben, Jean Ziegler. Anfangs war er nicht sehr erbaut, als ich ihn mit dem Sachverhalt konfrontiert habe. Aber im Laufe der Zeit hat er den Sachverhalt eingestanden und war sehr bemüht, Transparenz zu schaffen. Die Gegenseite von der PLO hat ebenfalls die geheimen Verhandlungen und den Vertragsabschluss bestätigt. Namentlich ist dies Farouk Kaddoumi, die langjährige Nummer 2 in der PLO und damals Aussenbeauftragter.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.