- Der Nachrichtendienst des Bundes hat bis Mai 2017 88 dschihadistisch motivierte Reisen registriert. Davon führten 74 nach Syrien und Irak.
- In den beiden Konfliktgebieten muss der «Islamische Staat» derzeit den Verlust grosser Teile seines Territoriums hinnehmen.
- Terrorexperten warnen davor, dass dies zu einer Zunahme an Dschihad-Rückkehrern führen konnte.
Spätestens mit den orchestrierten Terroranschlägen von Paris im November 2015 wurde klar: Europa hat ein Problem mit Dschihad-Rückkehrern. Zum «Homegrown Terrorism», dem die verheerenden Anschläge von Madrid (2004) und London (2005) zugerechnet werden, kam eine neue Gefahr: Dschihadisten, die das Kriegshandwerk im selbsternannten Kalifat des Islamischen Staates erlernt haben – und mit ungeklärten Absichten zurückkehren.
Zwar verfügen die meisten europäischen Staaten – so auch die Schweiz – mittlerweile über Gesetze, die die Unterstützung und Mitgliedschaft in terroristischen Gruppen unter Strafe stellen. Repression und Strafverfolgung allein reichen aber nicht aus, um die Gefahr einzudämmen, sagen viele Experten.
Gefängnisse genügen nicht, um Personen von der dschihadistischen Ideologie wegzubringen.
So ist es nicht nur schwierig, Dschihad-Rückkehrern Straftaten in Konfliktgebieten nachzuweisen; es stellt sich auch grundsätzlich die Frage, ob Repression allein nachhaltig zum Schutz der eigenen Bevölkerung beiträgt. «Strafverfolgung ist im Umgang mit gewissen Dschihad-Rückkehrern unabdingbar», macht Fabien Merz vom Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich klar.
Aber: Es brauche zusätzliche Massnahmen, um die Personen von der dschihadistischen Ideologie wegzubringen. Denn diese lebt auch hinter Gittern weiter – oder kann sich, wie das französische Beispiel zeigt, manchmal erst dort «entfalten».
Zwei der drei Attentäter etwa, die im Januar 2015 die Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» massakrierten und ein Blutbad in einem jüdischen Supermarkt anrichteten, wurden erst im Gefängnis radikalisiert.
Die Lehren aus Frankreich
Die CSS-Studie zum Umgang mit Dschihad-Rückkehrern zitiert französische Sicherheitsexperten, die Gefängnisse «als Inkubatoren für Terroristen» bezeichnen; im offiziellen Magazin des IS brüstete sich ein Dschihadist damit, Haftstrafen seien eine «einmalige Gelegenheit» zur Rekrutierung. Frankreich habe lange auf Repression gesetzt, ohne über Massnahmen zur Wiedereingliederung und De-Radikalisierung zu verfügen, sagt Merz.
Die Versuchung ist gross, zu reinen Sicherheitsmassnahmen zu greifen.
Der ETH-Sicherheitsexperte kontrastiert das französische mit dem dänischen Modell: «Auch dort werden Dschihad-Rückkehrer strafrechtlich verfolgt. In Dänemark gibt es aber Programme, die helfen sollen, diese Leute wieder in die Gesellschaft einzugliedern.»
Spannend sei, dass diese Programme ursprünglich eingeführt wurden, um Radikalisierten den Ausstieg aus der links- oder rechtsextremen Szene zu ermöglichen: «Nach den Anschlägen in Madrid und London in den 00er-Jahren wurden die Programme dann umgepolt.»
Fedpol-Chefin: «Kein Patentrezept»
Eine solche Umpolung bestehender Strukturen sei auch für die Schweiz angezeigt, findet der Sicherheitsexperte: «Die Behörden sind sich bewusst, dass es zusätzlich zur Strafverfolgung weitere Massnahmen braucht.» Diese würden derzeit durch den Sicherheitsverbund Schweiz unternommen, dem Koordinationsorgan für die sicherheitspolitischen Akteure von Bund, Kantonen und Gemeinden.
«Die Versuchung ist gross, zu reinen Sicherheitsmassnahmen zu greifen», schrieb auch Nicoletta della Valle, Direktorin des Bundesamtes für Polizei (fedpol) im Vorwort zum dritten Bericht der Task Force «Tetra», der im März vorgestellt wurde.
Es gebe aber kein Patentrezept und keine simplen Lösungen für den dschihadistischen Terrorismus. Für Sicherheitsexperte Merz ist aber klar: «Man darf nicht erst aktiv werden, wenn die Situation zu kritisch ist».