Ulrich Schoch ist ein gefragter Mann. Der ärztliche Leiter des medizinischen Zentrums Gravita hat derzeit 24 Flüchtlinge zu betreuen. Vor drei Jahren wurde dieses Angebot in St. Gallen eingeführt. Über 70 Flüchtlinge und Asylsuchende wurden bereits therapiert.
Zurzeit sind rund ein Drittel davon Frauen: «Wir haben im Moment sieben Frauen in dem gesamten Klientel. Alle wurden entweder im Heimatland, im Krieg oder auf der Flucht vergewaltigt. Alle.»
Die meisten vergewaltigten Frauen, die im Zentrum behandelt werden, kommen aus Syrien, Afghanistan und Eritrea. Zugewiesen werden die Patientinnen von Hausärzten, Sozialdiensten oder Durchgangszentren. Ulrich Schoch und sein Team entscheiden dann, ob ein Trauma vorliegt oder nicht.
Der Leiter der Klinik erinnert sich an eine Frau aus Afghanistan, die eben erst bei ihm war: «Sie war fast nicht in der Lage, Kontakt aufzunehmen, Blickkontakt, oder auch zu reden. Als ich versucht habe, die Geschichte zu erfassen, war sie vollkommen in Tränen aufgelöst, die ganze Zeit.»
Biografie verarbeiten
Im Zentrum der Trauma-Therapie in St. Gallen stehen die Gespräche mit den Flüchtlingen. Sie werden einzeln oder in Gruppen geführt. «In dem Moment, in dem wir erzählen können, was uns passiert ist, können wir es auch verarbeiten. Darum müssen wir die Patientinnen dazu bringen, uns das zu erzählen», sagt Schoch.
Um die Therapie etwas zu illustrieren, schliesst Ulrich Schoch ein Therapie-Zimmer auf. Zwei bequeme Polsterstühle stehen sich gegenüber, am Boden eine Kiste mit Seilen und Steinen. «Wenn der Patient kommt, legen wir diese Schnur auf den Boden und gehen sein Leben chronologisch durch. Wenn etwas Gutes passiert ist, legen wir eine Blume auf den Boden, wenn etwas Schlechtes passiert, ist, einen Stein.»
Zusätzlich zu den Gesprächen gibt es Musik-, Bewegungs- und Mal-Therapien.
75 Prozent gelten als geheilt
Finanziert wird die Tagesklinik für Flüchtlinge und Asylsuchende von den St. Galler Gemeinden, dem roten Kreuz St. Gallen und dem Krankenkassendachverband Santésuisse.
Im Unterschied zu den ambulanten Angeboten in Zürich, Bern, Lausanne und Genf, kommen die traumatisierten Flüchtlinge in St. Gallen drei Mal pro Woche in die Tagesklinik. Sie kommen am Morgen, essen gemeinsam zu Mittag und verlassen die Klinik am Abend wieder.
Zwischen drei und sechs Monaten sind die Flüchtlinge in Therapie. Laut Ulrich Schoch vom medizinischen Zentrum für Flüchtlinge in St. Gallen gelten 75 Prozent anschliessend als geheilt.