Mit Feuerwerk beworfen und verbal attackiert. Bei der Räumung eines besetzten Hauses in Bern ist es in dieser Woche zu Ausschreitungen gekommen. Polizei und Aktivisten lieferten sich ein stundenlanges Katz-und-Maus-Spiel. Kein Einzelfall: Die Anzeigen wegen Gewalt und Drohungen gegen Beamte haben sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdreifacht. Was sind die Gründe für diesen frappanten Anstieg?
Gesellschaftliche Spannungen
«Die Schweizer Bevölkerung ist nicht gefährlicher geworden», sagt Dirk Baier, Leiter des Institutes für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er relativiert diese Zahlen. Zum einen habe die Polizei heute einen breiteren Auftrag. Die Beamten werden zum Beispiel auch bei häuslicher Gewalt gerufen und so in ein emotionales Umfeld gebracht, in welchem häufig der Beamte als Blitzableiter missbraucht wird.
Die Schweizer Bevölkerung ist nicht gefährlicher geworden.
Zum anderen seien auch die Anzahl Vorfälle im Vergleich zur Bevölkerung seit 2009 nicht mehr signifikant gestiegen. Diese neutralen Faktoren dürfe man beim Betrachten der Häufung von Gewalttaten gegen Polizisten nicht vergessen.
Trotzdem sieht auch Baier die gesellschaftlichen Spannungen. Zum Beispiel sei der Linksextremismus ein Problem, das man noch nicht lösen konnte. Er hält aber fest, dass die Wahrnehmung von mehr Gewalt subjektiv und teilweise auf die mediale Ausschlachtung von Einzelfällen zurückzuführen sei.
Gab es früher mehr Anstand?
Der langjährige Polizist F. Gerber hingegen stellt in den letzten Jahren eine grosse Veränderung der Gewaltbereitschaft fest: «Diese aggressiven Pöbel-Gruppen und Kriminaltouristen gab es früher noch nicht.» Vor allem sei der Anstand früher grösser gewesen.
Entscheidend sei aber auch, dass die Täter je nach Gegend nicht einfach in der Anonymität verschwinden können. «Wenn man die Leute kennt, die man auf der Strasse antrifft, ist die Hemmschwelle viel grösser. In der Stadt ist dies natürlich schwieriger», so Gerber. Grundsätzlich herrsche ihm zufolge vielerorts eine gewisse Respektlosigkeit gegenüber Beamten.
Wenn man die Leute auf der Strasse kennt, ist die Hemmschwelle viel grösser.
Der Forscher sieht hier einfach den grundsätzlichen Trend zu anderen Umgangsformen. Die jüngere Generation spreche informeller gegenüber Autoritätspersonen. Ob dies nun Lehrer oder Polizisten sind. Dass es aber auch grobe Beleidigungen und Übergriffe gibt, stellt Baier nicht in Frage.
Wie kommt es zu solchen Übergriffen?
Die Menschen halten sich laut Baier im Gegensatz zu früher häufiger im öffentlichen Raum auf. Dort treffen sie auf andere Gruppen und es kommt zu Konflikten. Schmiermittel für diese Streite sind Alkohol und Drogen: Rund 70 Prozent der Vorfälle geschehen im berauschten Zustand.
Polizist Gerber sieht vor allem die Gruppen-Dynamik als Problem: «Alleine würden sie sich nicht getrauen, in der Gruppe haben sie das Gefühl, sie können sich alles erlauben». Er findet: «Früher hatten wir dies noch nicht, dieser Trend kam von Amerika über Deutschland in die Schweiz.»
Höhere Strafen als Lösung
Am kommenden Montag stimmt der Ständerat über einen Vorstoss ab, der deutlich höhere Strafen bei Gewalt gegen Polizisten verlangt. Ein Streitpunkt. Der Polizeibeamten-Verband begrüsst ein solches Vorgehen. Baier hat auch hier einen anderen Ansatz: Kommunikation.
Denn wenn ein Beamter etwas sagt, gilt dies nicht mehr als unumstösslich. Die involvierten Personen kennen ihre Rechte, fragen nach und wollen antworten. «Darfst du dies überhaupt?» Deshalb sollen die Polizisten laut Baier kommunikativ sowie juristisch stark geschult werden und mit diesen Fähigkeiten deeskalierend auf die Täter einwirken.