Auf dem Papier ist alles klar: Zuständig für das Asylverfahren ist derjenige Staat, in welchem ein Flüchtling zuerst einreist. Doch das Dubliner Abkommen kommt immer mehr an seine Grenzen.
Besonders Italien hat sich zusehends nicht mehr an die Vereinbarungen gehalten – Flüchtlinge wurden oft gar nicht mehr registriert. Die anderen Dublin-Staaten, darunter auch die Schweiz, konnten sie deshalb nicht mehr zurückschicken.
Besonders markant war dies bei Flüchtlingen aus Syrien und Eritrea. So hat Italien beispielsweise im August knapp 400 Rückführungen von Eritreern aus der Schweiz abgelehnt. Bewilligt wurden lediglich 35 – eine Erfolgsquote von weniger als 10 Prozent.
«Die Lage in Italien normalisiert sich langsam»
Jetzt scheint sich die Lage etwas zu entspannen. «Wir anerkennen, dass Italien in einer ausserordentlichen Situation war», sagt Werner Gattiker, der Direktor des Bundesamtes für Migration, zu SRF. Doch das Dubliner Abkommen müsse angewendet werden. «Und wir stellen auch fest, dass sich die Verhältnisse in Italien langsam normalisieren. Wir haben wieder vermehrt Treffer im EURODAC (der europäischen Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken). Italien nimmt auch wieder vermehrt nicht registrierte Personen zurück, bei denen wir konkrete Hinweise haben, dass sie von dort eingereist sind.»
Unbestritten ist aber auch, dass Italien eine enorm hohe Last zu bewältigen hat. Die Regierung in Rom fordert von den übrigen Dublin-Staaten mehr Solidarität. Diskutiert worden ist unter anderem ein neuer Verteilschlüssel, der die Flüchtlinge gerechter verteilen sollte. Eine Diskussion, die man auch in Bern aufmerksam verfolgt. Gattiker wehrt jedoch ab: «Wir beteiligen uns aktiv an dieser Diskussion. Ob das dann heisst, dass die Schweiz Flüchtlinge dereinst übernehmen könnte, ist eine Frage, der ich nicht vorgreifen will. Die Schweiz tut jetzt schon viel. Gemessen an der Bevölkerung haben wir eine verhältnismässig hohe Anzahl an Asylgesuchen.»
«Sie wollen nach Europa, nicht nach Italien»
Terror, Kriege und die Hoffnung auf ein besseres Leben treiben jedes Jahr Hunderttausende in die Flucht - 2014 so viele wie nie zuvor. Tausende finden auf dem Weg nach Europa den Tod. Mehr als 3400 Menschen sind in diesem Jahr bei ihrer gefährlichen Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen.
Italien ist das Land, in dem die meisten Menschen ankommen, die auf ein neues Leben in Europa hoffen. Aus der Sicht Roms sind der Ansturm und dessen Bewältigung dennoch in erster Linie europäische Probleme.
«Diejenigen, die hierherkommen, wollen in der grossen Mehrzahl nicht nach Italien, sondern nach Europa», sagte unlängst Innenminister Angelino Alfano. Regierungschef Matteo Renzi hatte mehrmals gefordert: «Europa muss mehr investieren.» Ein «erster Schritt» ist aus Renzis Sicht der Start der EU-Mission «Triton» zum 1. November, die Italien beim Grenzschutz und der Überwachung des Mittelmeeres unterstützt.