SRF News hat User gefragt, wie sie sich zum Begriff «Mohrenkopf» stellen. 18'000 haben sich klar positioniert: 70 Prozent sagen Ja, der Name müsse bleiben. 13 Prozent ist der Name egal, was heisst, dass sie ihn zumindest stillschweigend akzeptieren. Nur 17 Prozent sprechen sich für eine Namensänderung aus.
SRF News: Herr Joppke, wie erklären Sie sich das klare Resultat?
Christian Joppke: Es überrascht mich nicht. Die wenigsten Schweizer assoziieren damit wohl die Sklaverei, sondern denken an die Süssigkeit. Und nun wehren sie sich dagegen, dass eine für sie harmlose Tradition durch politische Korrektheit eingeebnet werden soll.
Ist diese Debatte an den Haaren herbeigezogen oder – im Gegenteil – Kern des Problems?
Christian Joppke: Die Diskussion ist sicher angeregt durch die Rassenunruhen in den USA – und insofern kontextabhängig und nicht an den Haaren herbeigezogen. Weiter muss man die Sprache, in der sich Alltagsbegriffe manifestieren, ernst nehmen. Die Sprache prägt und präformiert, und sie ist nicht unschuldig. Auf der anderen Seite darf die Debatte aber auch nicht auf einen Versuch hinauslaufen, die Sprache klinisch zu säubern. Eine systematische Sprachsäuberung im Sinne einer Volkspädagogik drückt meines Erachtens eine illiberale Haltung aus.
Es ist gut, dass das Wort nicht blind weitergebraucht wird und stattdessen eine Diskussion stattfindet. Die Diskussion ist Ausdruck einer aktiven Bürgergesellschaft, in der unterschiedliche Interessen artikuliert und nicht durch eine Mehrheitsmeinung unterdrückt werden. Das habe ich anders in Erinnerung bei den Schäfchen-Plakaten der SVP, die man letztlich geduldet hat.
Eine systematische Sprachsäuberung im Sinne einer Volkspädagogik drückt eine illiberale Haltung aus.
Wollen sich die Leute den Mund nicht mehr verbieten lassen?
Bestimmt fühlen sich die User von der political correctness provoziert. Allerdings ist die Umfrage mit Vorsicht zu geniessen. Es könnte sein, dass vor allem Leute teilgenommen haben, die eine ausgeprägt negative Meinung zum Thema haben. Und die liberaler Eingestellten haben sich vielleicht zurückgehalten, weil sie andere Probleme haben. Also eine Art Selbstselektion, als deren Resultat die Umfrage eher das Reservoir der SVP abgebildet hätte.
Aber das ist Spekulation. Fakt ist, dass die SVP und ihre Anhänger – wie andere rechtspopulistische Parteien in Europa – vor allem auf zwei Themen zurückgreifen: Europa und Globalisierung sowie Kultur und Tradition, die sie durch eine universitäre Linke und durch Multikulturalisten bedroht sehen. Insofern ist die «Mohrenkopf»-Diskussion ein gefundenes Fressen für die Rechtspopulisten.
Fürchten die Menschen, dass über «Details» debattiert wird und «reale» Probleme – etwa die Folgen der Coronakrise – ungelöst bleiben?
Die Diskussion über Corona läuft überall, auch in der Schweiz. Insofern ist es doch gut, wenn man mal über anderes redet. Das ist der Markt der Meinung. Die Leute entscheiden selbst, welche Diskussionen stattfinden – vor allem in und ausgehend von den sozialen Medien. Das kann niemand abstellen. Und das ist auch gut so. Es ist Demokratie.
Die Leute entscheiden selbst, welche Diskussionen stattfinden (...) Das kann niemand abstellen. Und das ist auch gut so. Es ist Demokratie.
Der Diskurs um den «Mohrenkopf» hat auch Ortswappen und Statuen erfasst. Man könnte Entscheidungsträgern unterstellen, dass sie dort Massnahmen ergreifen, wo sie leicht umzusetzen sind, aber die Alltags-Probleme dunkelhäutiger Menschen, etwa die Diskriminierung bei der Jobsuche, bleiben unbearbeitet.
Aus kontingenten Gründen ist jetzt halt die «Mohrenkopf»-Diskussion angesagt. Das heisst ja nun aber nicht, dass andere Probleme nicht auch angegangen oder gar gelöst werden können. Die organisierte Minderheit der Dunkelhäutigen ist nicht darauf aus, eine Stellvertreter-Diskussion zu führen. Sie erachten diese Debatte als ersten kleinen Schritt in eine richtige Richtung.
Und der Entscheid der Migros ist wirtschaftlich begründet. Der Konzern will ein gutes Bild beim Durchschnittskonsumenten abgeben, der die Betroffenheit der dunkelhäutigen Schweizer durchaus versteht. Die Migros will verkaufen und nicht die Gesellschaft verbessern.
Das Gespräch führte Christine Spiess.