Es beginnt mit einem etwas sonderbaren Communiqué. Am Abend des 23. Dezember schreibt der Bankrat der Schweizerischen Nationalbank: «Gerüchte gegen den Präsidenten des Direktoriums (Philipp Hildebrand, Anm. d. Red.) erweisen sich als haltlos.» Man habe geprüft, kontrolliert und befunden: Alles in Ordnung. Es bestehe kein Handlungsbedarf. Der Bankrat, das Aufsichtsgremium der Nationalbank, «hat in seiner Sitzung vom 22. Dezember 2011 die Angelegenheit abgeschlossen».
So manch einer dürfte sich damals beim Lesen der Mitteilung verwundert die Augen gerieben haben. Da erklärt der Bankrat eine Angelegenheit für erledigt, von der die Öffentlichkeit noch gar nichts gehört hatte.
Die Vorwürfe sind happig. Philipp Hildebrand soll sein Wissen als SNB-Präsident genutzt haben, um «in unzulässiger Weise persönliche Vermögensvorteile» zu erlangen.
Doch die Mitteilung sorgt kaum für Aufsehen. Die Schweiz geht in die Weihnachtsferien.
Im Visier der Finanzmärkte
Philipp Hildebrand: Seit 2003 gehört er dem Direktorium der Nationalbank an. Im Januar 2010 wird er dessen Präsident. Und damit einer der mächtigsten Menschen im Land, verantwortlich für die Geldpolitik. Arbeitslosigkeit, Preisniveau, Wirtschaftslage, Wechselkurse, Zinsen – das alles hängt irgendwie mit den Handlungen der SNB zusammen.
Die SNB ist gefragt. Im Sommer 2007 platzt in den USA die Immobilienblase. Die Folgen sind dramatisch. Banken gehen Bankrott, wie Lehman Brothers im September 2008. In der Schweiz muss der Staat die Grossbank UBS retten. Das globale Finanzsystem steht zeitweise kurz vor dem Zusammenbruch, die Weltwirtschaft leidet massiv. In vielen Staaten steigen die Schulden drastisch an.
Im Herbst 2009 erreicht die Krise den Euroraum mit voller Wucht: Griechenland steht kurz vor der Pleite. In dieser Situation flüchten viele Anleger in den Schweizer Franken. Der Franken wird stärker und stärker. Für die Schweizer Exportindustrie wird die Lage zusehends dramatischer – ihr brechen die Margen weg.
Unruhige Zeiten für Hildebrand. Die SNB verstärkt ihre Massnahmen gegen die Frankenstärke. Mit Erfolg – so steigt der Wert des Dollars bis Ende August 2011 von 0,79 auf 0,82 Rappen. Und am 6. September tritt Hildebrand vor die Medien und verkündet: «Sie (die Nationalbank) toleriert ab sofort keinen Euro-Franken-Kurs unter 1.20. Die Nationalbank wird diesen Mindestkurs mit aller Konsequenz durchsetzen. Sie ist bereit, unbeschränkt Devisen zu kaufen.» Die Ankündigung zeigt sofort Wirkung. Auch der Dollar zieht an.
Prüfer geben Entwarnung
Ebenfalls im September 2011. Ein IT-Mitarbeiter der Privatbank Sarasin erstellt einen Screenshot eines Kontoauszuges. Der Auszug zeigt den Kauf und Verkauf von Dollars.
Zwei Transaktionen stechen hervor. Eine vom 15. August, ein Kauf von 504‘000 Dollar zum Kurs von 0,79 Franken. Und ein Verkauf vom 4. Oktober. Der Dollarkurs liegt mittlerweile bei 0,92 Franken. Gewinn unter dem Strich: 64‘000 Franken. Inhaber des Kontos ist Philipp Hildebrand.
Der langjährige Sarasin-Mitarbeiter informiert den Thurgauer Rechtsanwalt und SVP-Nationalrat Hermann Lei. Dieser arrangiert ein Treffen mit SVP-Vizepräsident Christoph Blocher.
Blocher informiert die damalige Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Calmy-Rey lässt die Transaktionen prüfen, vom Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle und dem Wirtschaftsprüfer PriceWaterhouseCoopers.
Sie kommen zum selben Ergebnis. Heikel sei die Transaktion vom August gewesen. Aber es seien keine Richtlinien verletzt worden.
Das war am 21. Dezember. Zwei Tage später verschickt der SNB-Bankrat seine Medienmitteilung.
Ein Rücktritt und mehrere Verfahren
Affäre erledigt? Mitnichten. Für Philipp Hildebrand beginnt sie erst so richtig. Anfang 2012 greifen Sonntagspresse und die «Weltwoche» das Thema auf.
Hildebrand gerät unter Druck, muss sich erklären. Es stellt sich heraus: Die umstrittene Transaktion hat seine Frau Kaysha Hildebrand, eine Galeristin, getätigt. Er bedauere, das Geschäft nicht sofort rückgängig gemacht zu haben, sagt der SNB-Präsident. Aber: «Solange ich das Vertrauen der Behörden, des Bankrates und des Bundesrates besitze, ist Rücktritt kein Thema.»
Das ist am 5. Januar. Vier Tage später, am 9. Januar, tritt Philipp Hildebrand als Präsident der Schweizerischen Nationalbank ab.
Zum Verhängnis wurde Hildebrand eine Mail seines Bankberaters. Dieser hält darin fest: Hildebrand habe sein Einverständnis für Dollar-Käufe gegeben. Hildebrand selbst sagt an der Medienorientierung, er könne nicht zweifelsfrei beweisen, dass seine Frau und nicht er die umstrittene Transaktion vom August 2011 in Auftrag gegeben habe.
Doch nicht nur für Hildebrand hat die Affäre Folgen. Ins Visier der Justiz geraten wegen «Widerhandlungen gegen das Bankengesetz» auch der ehemalige Sarasin-Mitarbeiter, Hermann Lei, Christoph Blocher sowie der Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Schmid, mit dem der IT-Mitarbeiter ebenfalls in Kontakt stand.
Der nächste Akt in der juristischen Aufarbeitung steht morgen Dienstag an. Dann entscheidet das Zürcher Obergericht, ob eine Hausdurchsuchung bei Christoph Blocher vom März 2012 rechtmässig war – und ob die Beweismittel verwendet werden dürfen.