Man merkt es Claudio Kuster im Gespräch an: Das Thema treibt in um, und zwar schon lange. Kuster ist parteilos, hat eine KV-Ausbildung und ist persönlicher Mitarbeiter des Schaffhauser Ständerats Thomas Minder – parteilos auch er, aber Mitglied der SVP-Fraktion.
Für mich ist das Prinzip ‹One man – one vote› zentral.
Vor allem aber ist Kuster, der einige Semester Mathematik an der ETH studiert hat, fasziniert von Zahlen und Politik und damit vom Thema Wahlsysteme. «Ein Wahlsystem muss gerecht sein. Das Prinzip ‹one man, one vote›, also ‹ein Bürger, eine Stimme› muss befolgt werden.»
Wählen für den Papierkorb
Genau dieses Prinzip werde mit dem heutigen Wahlsystem aber verletzt, findet Kuster und erläutert das am Beispiel seines eigenen Kantons, Schaffhausen. «Schaffhausen schickt zwei Nationalräte nach Bern. Wer nicht für die SVP oder SP stimmt, also die beiden grössten Parteien, wählt eigentlich für den Papierkorb», empört sich Kuster.
Tatsächlich kommt rechnerisch in Schaffhausen eine Partei nur dann zum Zug, wenn sie mindestens einen Drittel der Stimmen erhält. Und Schaffhausen ist kein Einzelfall: In 20 der 26 Kantone braucht es zehn oder mehr Prozent der Stimmen für einen Sitz.
Bundesgericht für Schwellenwert
Den Schwellenwert von zehn Prozent hat das Bundesgericht definiert. Allerdings nicht für die Nationalratswahlen, sondern in mehreren Urteilen zu kantonalen Wahlen.
Um das Problem der «verlorenen Stimmen» zu lösen, setzen unterdessen sieben Kantone auf den sogenannten «Doppelten Pukelsheim» – ein Wahlsystem, das auf den Augsburger Mathematiker Friedrich Pukelsheim zurückgeht.
Keine «verlorenen» Stimmen mehr
Der Clou: Die Sitze werden in einem zweistufigen Verfahren verteilt. Im Falle des Nationalrats hiesse das: Zuerst würde festgelegt, wie viele Sitze jede Partei landesweit zu Gute hat.
Die Sitze werden doppelt-proportional verteilt – auf die Parteien UND auf die Regionen.
Dabei kämen im Unterschied zu heute alle Stimmen zum Zug. Im zweiten Schritt würden diese Mandate auf die Wahlkreise verteilt. «So werden die Sitze proportional auf die Parteien und auf die Regionen verteilt – darum sage ich dem System ‹Doppel-Proporz›», erklärt Pukelsheim im Gespräch.
Grosse Parteien müssten Federn lassen
Auf das Ergebnis der Nationalratswahlen würde sich ein Systemwechsel stark auswirken. Das zeigen Modell-Rechnungen aufgrund der Ergebnisse der letzten Wahlen 2015. «20 Sitze würden sich verschieben», hat Kuster ausgerechnet.
Konkret wären es die vier Bundesratsparteien die Federn lassen müssten. Am meisten die beiden grössten, SVP und SP, sie würden acht bzw. sieben Sitze verlieren. Profitieren würden kleinere und Kleinstparteien, die Grünen und die Grünliberalen, die äussere Linke, die Jungparteien. Sogar ein Vertreter der Piratenpartei hätte es vor vier Jahren in den Nationalrat geschafft.
Angst vor Zersplitterung
Hier setzen die Kritiker an. Der «doppelte Pukelsheim» führe zu einer weiteren Zersplitterung der Parteienlandschaft. Zudem sei das Verfahren zu kompliziert.
Die Gegner stammen vor allem aus den vier Bundesratsparteien, die nach dem Systemwechsel wohl Federn lassen müssten – und sie sind in der Mehrheit. Darum macht sich Kuster keine Illusionen: «Die, die vom heutigen System profitieren, werden die Spielregeln kaum ändern.»
Dennoch schreckt er vor einer Volksinitiative zurück – noch. «Vielleicht braucht es dafür noch zehn bis 20 Jahre», glaubt Kuster. Wenn bis dahin der Pukelsheim-Siegeszug in den Kantonen weitergehe, steige vielleicht auch die Akzeptanz auf nationaler Ebene.