Werfen Sie ein Jogurt weg, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist? Wer die Frage bejaht, ist in guter Gesellschaft. Jährlich werden in der Schweiz zwei Millionen Tonnen Lebensmittel fortgeworfen – knapp die Hälfte davon im Haushalt. Die meisten Produkte wären wohl für den Verzehr noch einwandfrei gewesen.
Jogurts nach drei Monaten noch geniessbar
Schuld ist auch das Haltbarkeitsdatum. Es verleitet dazu, Abgelaufenes unausgepackt – ohne eine sensorische Prüfung – wegzuwerfen, obwohl die Qualität in den meisten Fällen noch einwandfrei ist. So zeigt eine Maturaarbeit an der Kantonsschule Wiedikon (ZH), dass nach drei Monaten nur eines von elf geprüften Schokolade- und Erdbeerjogurts nicht mehr essbar war. Auch die Stiftung für Konsumentenschutz kommt bei einem Test zum Schluss, dass viele Milch- und Fleischprodukte sowie Desserts auch noch Wochen nach dem Haltbarkeitsdatum einwandfrei sind.
Doch statt den eigenen Sinnen zu vertrauen, verlassen sich Konsumenten lieber auf die Angaben des Herstellers. Die Bedeutung des sogenannten Mindesthaltbarkeitsdatums und des Verbrauchsdatums werden dabei allerdings oft missverstanden.
«Die Angaben auf der Verpackung sind sehr verwirrend», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz. «Die Leute denken, die Produkte seien danach nicht mehr geniessbar.» Stalder würde anstatt des Mindesthaltbarkeitsdatums eine Formulierung in Sinne von «Qualität garantiert bis» bevorzugen. Doch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) blitzt sie damit ab.
BAG will keine Handelshemmnisse
«Das schweizerische Kennzeichnungsrecht ist mit demjenigen der EU identisch», sagt Eva van Beek, Mediensprecherin beim BAG. «Jeglicher schweizerischer Alleingang hätte Handelshemmnisse zur Folge.» Für Konsumentenschützerin Stalder ist dies aber nur eine Ausrede, um nicht aktiv werden zu müssen.
Dass die Konsumenten besser informiert werden müssen, bestreitet hingegen niemand. Dies ist auch ein Ziel beim Stakeholder-Dialog zur Verringerung von Lebensmittelabfällen, einer Massnahme im Aktionsplan Grüne Wirtschaft des Bundesrates.
Möglichkeiten dazu bieten sich in der Schulbildung oder über Kampagnen. Am effektivsten sei die Aufklärung aber direkt auf der Verpackung, sagt Konsumentenschützerin Stalder: «Hier sollte ein Hinweis stehen, dass ein Lebensmittel auch nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum noch konsumiert werden kann.» Beim BAG will man sich dazu nicht konkret äussern. Die Frage der Datierung werde diskutiert, heisst es.
Kürzere Haltbarkeiten?
Im Fokus von Konsumentenschützern und Umweltorganisationen sind auch die Längen der Haltbarkeit. Früher wurden sie im Gesetz geregelt. Da es aber schwierig ist, für jedes Produkt die richtige Haltbarkeit zu bestimmen, wurde diese Regelung aufgehoben. Heute entscheiden die Lebensmittelproduzenten selber, welche Haltbarkeit sie auf ihren Produkten deklarieren. Deshalb kommt es vor, dass die Haltbarkeiten von ähnlichen Produkten ganz unterschiedlich sind, wie Recherchen des «Kassensturzes» zeigten.
Könnte es sein, dass die Produzenten eine zu kurze Zeitspanne angeben, um den Konsumenten bald wieder zum nächsten Einkauf zu locken? Eine solche Praxis wird von Umweltorganisationen und auch vom Konsumentenschutz kritisiert – eine Beweisführung ist aber schwierig.
«Wir haben aktuelle Haltbarkeitsdaten mit früheren Daten verglichen und keine solche Hinweise gefunden», sagt João Almeida, Mitbegründer und Projektleiter beim Verein Foodwaste.ch. Ohnehin würden vor allem Brot, Gemüse und Früchte weggeworfen – also Produkte ohne Haltbarkeitsdatum. Man kaufe einfach viel zu viel ein.
Probleme bei der Produktehaftung
Almeida schlägt bei Produkten mit längeren Haltbarkeiten nur ein Datum der Herstellung vor, sowie konsequent kein Datum bei fast unverderblichen Lebensmitteln wie Essig, Salz und Zucker. Auf den restlichen Produkten sollte nur ein einziges Datum stehen, damit die Konsumenten nicht etwa das Verkaufs- und das Verbrauchsdatum durcheinanderbringen.
Nicht nur im Haushalt, sondern auch im Detailhandel türmen sich die Abfallberge wegen der Haltbarkeitsdaten. Wie gross diese Berge sind, will aber niemand genau beziffern – man verkaufe 99 Prozent, heisst es unisono. Beim übrigen Prozent geht auch ein Teil an Hilfsorganisationen. Dabei könnte auch abgelaufene Ware abgegeben werden – das macht jedoch wegen der strengen Produkthaftpflicht fast niemand, wie in einem Bericht zum Stakeholder-Dialog festgehalten wird. Eine gesetzliche Lockerung könnte hier weiterhelfen.
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Vorsicht bei leicht verderblicher Ware!
Für den Konsumenten bedeutet die Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums, dass der Hersteller seiner Verantwortung abgibt, erklärt Bruno Pacciarelli, Bereichsleiter beim Kantonalen Labor Zürich. «Das heisst nicht, dass ein Produkt schlecht ist. Aber der Konsument muss dann selber beurteilen, ob er ein Produkt noch konsumieren will oder nicht.» Man merke dies beispielsweise an einer Klumpenbildung oder einer Geruchsveränderung.
«Leicht verderbliche Lebensmittel mit Verbrauchsdatum können nach Ablauf allerdings auch rasch von gesundheitsgefährdenden Mikroorganismen besiedelt werden», sagt Pacciarelli. Und diese seien sensorisch nicht feststellbar. «Deshalb empfehlen wir, dass Lebensmittel nach Ablauf des Datums fortgeworfen werden.» Einen Spielraum sieht das Kantonale Labor Zürich – anders als das BAG – bei diesen Produkten also nicht.