Angefangen hat alles im November 2022 während eines grossen Verfahrens rund um einen Immobilien-Betrug mit vielen Geschädigten in Genf. Darin tauchen plötzlich Aufnahmen und Transkripte von Gesprächen zwischen Anwälten und Klienten auf, welche im Rahmen der Untersuchungsverfahren getätigt wurden. Und das wäre illegal. Denn: Die Polizei darf keine Gespräche mit Anwälten abhören, da dies deren Berufsgeheimnis verletzen würde. Wegen dieser illegalen Aufnahmen platzte der Betrugs-Prozess in zweiter Instanz.
Nun lässt ein Genfer Regionalsender am Dienstagabend eine kleine Bombe platzen. In seinen Abendnachrichten enthüllt «Léman Bleu» pikante Details aus den Untersuchungsakten zum Genfer Abhörskandal. Damit könnte sich dieser zur Justizaffäre ausweiten. Dabei ist vor allem die Rolle der damaligen Staatsanwältin unklar.
«Lügen, Vertuschungen und eine fehlende Untersuchung»
Der junge Chefredaktor Jérémy Seydoux zeichnet selbst für die Recherchen verantwortlich. «Mit den Beweisen können wir Stück für Stück aufzeigen, wer was gemacht und gewusst hat.» Er nimmt kein Blatt vor den Mund. «Es geht um Lügen, Vertuschungen und eine fehlende Untersuchung», sagt er. Seydoux hat die Abhöraffäre seit Beginn verfolgt.
Solche Abhörungen verstossen gegen die Schweizerische Strafprozessordnung. Bei der Genfer Polizei gibt es, laut «Léman Bleu», zudem eine Direktive, die solche Aufnahmen klar verbietet.
Von Anfang an im Bild?
In der Folge dieser Abhöraffäre wurde der damals zuständigen Staatsanwältin das Dossier entzogen, da sie nicht richtig reagiert habe. Die Verfahrensakten, die «Léman Bleu» vorliegen, zeigen nun, dass die Staatsanwältin sogar eine Erklärung abgegeben haben soll, wonach sie mit der Abhörung nichts zu tun gehabt habe. «Ich war nicht informiert, dass Gespräche, die unter das Berufsgeheimnis fallen, abgehört und sogar transkribiert worden sind», zitiert der Sender aus den Akten. Der Fehler liege bei der Polizei.
Dem widersprechen Aussagen eines Polizisten aus einer Anhörung, aus der «Léman Bleu» zitiert: «Sie war sehr involviert in das Dossier. Ich war permanent mit ihr in Kontakt.» Die Staatsanwältin sei von Anfang an im Bild gewesen.
Ausserdem würden E-Mails aus den Akten belegen, dass die Staatsanwältin sich erst nach rund drei Jahren um die Existenz der Abhördaten gekümmert habe – und sie habe löschen wollen, um jeden Preis. «Wie muss ich vorgehen, um die Zerstörung (der Daten, Anm. d. Red.) zu erreichen?», schreibt sie einem Polizisten. Die Mails gehen hin und her. Er schreibt: «Ich habe die DVD mit den Daten bekommen und versuche nun Kopien davon herzustellen, ohne die Konversationen mit den Anwälten.»
Im besten Sinne gehandelt
Laut der Recherche verteidigt sich die Staatsanwältin damit, dass sie diese Beweisstücke eben habe unbrauchbar machen wollen, zumal sie ja illegal seien. Ihr Anwalt teilt SRF gegenüber mit: «Meine Mandantin arbeitet vollumfänglich und gelassen mit den zuständigen Behörden zusammen und weist jede strafbare Handlung klar von sich.»
Sie wolle sich aufgrund der laufenden Verfahren und ihrer Pflicht zur Zurückhaltung nicht äussern und an einem «medialen Prozess» teilnehmen.
Sonderermittler will Verfahren einstellen
Seit einem Jahr ist ein kantonsexterner Sonderermittler im Amt. Laut «Léman Bleu» will dieser nun aber die Ermittlungen einstellen. Dies, ohne dem Untersuchungsdossier weitere Beweisstücke hinzugefügt zu haben. Die betreffende Staatsanwältin habe er nie einvernommen.
Für Jérémy Seydoux ist das unverständlich. Er hofft, mit seiner Recherche den Fall ins Rollen zu bringen. Das Verfahren ist hängig. Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.