554. So viele Fälle von Selbstverletzungen dokumentierten die Ärzte in den Notfallaufnahmen in Lausanne, Neuchâtel und La Chaux-de-Fonds in nur 10 Monaten. Das zeigt eine Studie, die Anfang Februar 2019 in der Fachzeitschrift «Swiss Medical Weekly» publiziert wurde.
Rund 250 Patientinnen und Patienten wollten sich das Leben nehmen
Stéphane Saillant ist Chefarzt der psychiatrischen Abteilung für Erwachsene am Zentrum für Psychiatrie in Neuchâtel und Mitautor der Studie: «In rund der Hälfte der Fälle von Selbstverletzungen wollten sich die Patientinnen und Patienten das Leben nehmen.»
Nach einem schwerwiegenden Suizidversuch befinden sich die betroffenen Patienten oft 24 Stunden oder mehr auf der Notfall- oder Intensivstation. «Sie sind beispielsweise gelähmt oder in der Mobilität stark eingeschränkt, weil ihre Arme oder Beine schwer verletzt sind», erklärt Stéphane Saillant gegenüber SRF.
Hochrisikofaktor Suizidversuch
Wer schon mal einen Suizidversuch unternommen hat, trägt ein grosses Risiko, zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durch einen Suizid zu sterben. Denn nach einem ersten Suizidversuch sinkt die Hemmschwelle rapide, das zeigen mehrere Studien. Umso wichtiger sei es, die Fälle von Suizidversuchen zu erkennen, um die betroffenen Patienten entsprechend zu betreuen und zu begleiten, hält Saillant fest.
Schweigen kann verheerend sein
Eine wichtige Rolle kommt dem persönlichen Umfeld einer suizidgefährdeten Person zu.
Wenn sich ein Mensch plötzlich zurückzieht oder antriebslos erscheint, müssen diese Veränderungen direkt angesprochen werden
Laut Jörg Weisshaupt, Suizidpräventionsexperte, ist es sehr wichtig, dass Freunde, Eltern oder Kollegen aufmerksam bleiben: «Wenn sich ein Mensch plötzlich zurückzieht oder antriebslos erscheint, müssen diese Veränderungen direkt angesprochen werden, denn Personen, die kurz vor einem Suizidversuch stehen, nehmen kaum noch Kontakt mit ihrer Umwelt auf. Mit einer Konfrontation, dem Thematisieren der Veränderung, kann den betroffenen Menschen geholfen werden, damit es nicht zu einem Suizidversuch kommt.»
10’000 Suizidversuche pro Jahr
Studien gehen davon aus, dass in der Schweiz jährlich 10’000 Suizidversuche medizinisch versorgt werden. Ein nationales Register für Suizidversuche gibt es jedoch nicht – im Gegensatz zu Suiziden.
Jeder Suizidversuch löst hohe Kosten für das Gesundheitswesen aus. Das Bundesamt für Gesundheit BAG geht aufgrund von Studienergebnissen davon aus, dass die Suizidversuche in der Schweiz jährlich Kosten von rund 200 Millionen Franken auslösen.
Das BAG will, dass die Zahl der Suizide und Suizidversuche abnimmt. Im Rahmen des Aktionsplans Suizidprävention, der 2016 verabschiedet wurde, soll die Suizidalität frühzeitig erkannt und entsprechend interveniert werden. Zudem soll die Forschung zum Thema Suizid intensiviert werden.
Es braucht mehr Fachpersonal
«Die Zahlen aus der Romandie nehmen wir sehr ernst», sagt Esther Walter, Projektleiterin des Aktionsplans. Bereits das Erkennen von Suizidversuchen sei wichtig, denn so könnten die betroffenen Patienten zeitnah und gezielter betreut werden. Laut Esther Walter braucht es jedoch in diesem Bereich mehr Fachpersonal, das geschult ist, Suizidversuche noch besser zu erkennen. «Denn das ist nicht einfach, oft wollen die Betroffenen nicht sagen, dass sie einen Suizidversuch gemacht haben.»