Ich hatte ziemlichen Bammel, als ich mit meinem Koffer vergangene Woche die Rampe in die ehemalige Zivilschutzanlage Düdingen im Kanton Freiburg hinunterstieg, wo ausschliesslich erwachsene Männer wohnen.
Würde ich mich mit meinen 26 Mitbewohnern aus Ländern wie Afghanistan, Eritrea, Somalia, Guinea, Äthiopien und der Türkei verstehen? Wie hygienisch ist es in einer unterirdischen Asylunterkunft? Und werde ich mit meinem Unterstützungsgeld auskommen?
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Bild 1 von 12. Mein täglicher Begleiter. Immer wenn ich etwas benötige, kommt einer dieser vier Schlüssel zum Einsatz. Zurzeit wichtiger als mein Handy. Bildquelle: srf.
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Bild 2 von 12. Kühlfächer für jeden. Ein herkömmlicher Kühlschrank wurde mit Schliessfächern ausgestattet. Wäre wohl auch in WGs eine gute Idee. Bildquelle: srf.
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Bild 3 von 12. Mein persönliches Kühlschrank-Fach. Nach einem ersten Einkauf ist mein persönliches Fach schon gut gefüllt. Auch dieses ist verschliessbar. Bildquelle: srf.
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Bild 4 von 12. Don't pee in the shower. Alle Regeln werden hier auch unmissverständlich mit Piktogrammen bebildert. Bildquelle: srf.
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Bild 5 von 12. Gewusst wie. Um sich im Bett vor Licht zu schützen und etwas Privatsphäre zu wahren, haben die meisten Bewohner Laken um ihre Matratze gehängt. Bildquelle: srf.
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Bild 6 von 12. Erste Kamera-Assistenz. Der Somali Ramadan schlägt kurzerhand vor, dass er den Reporter spielt. Er schnappt sich mein Handy und stellt Fragen. Daran kann ich mich gewöhnen. Bildquelle: srf.
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Bild 7 von 12. Mein Hab und Gut. Gleich zu Beginn fasse ich vier verschiedene Pfannen, zwei Teller, Besteck, Kunststoff-Behälter, ein Glas, eine Tasse, Abwaschseife sowie ein Schneidebrett. Bildquelle: srf.
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Bild 8 von 12. Es fehlt noch einiges. Bald merke ich, dass ein Teil meines Geldes auch für Utensilien wie Rüstmesser verwendet werden muss. Das abgegebene Messer eignet sich nur sehr bedingt zum Schälen. Bildquelle: srf.
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Bild 9 von 12. Ein weiteres Kästchen. Hinter mir sind unsere Spinde. Einer gehört mir und dort lagern meine Kleider, meine Hygiene-Artikel und Strom-Kabel. Bildquelle: srf.
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Bild 10 von 12. Hier braut sich was zusammen. Zwei Afghanen bereiten eine Spezialität vor. Das Ganze müsse man zwanzig Minuten ziehen lassen. Mit Gewichten wird die Pfanne fest verschlossen. Bildquelle: srf.
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Bild 11 von 12. Die Rettung . Wegen dem Blog und der Live-Sendung kam ich heute noch gar nicht zum kochen. Der Afghane Dost Mohammad hat kurzerhand für mich gekocht. Qabelepalow nennt sich diese Speise mit Rosinen, Reis und Pouletfleisch. Es war lecker. Bildquelle: srf.
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Bild 12 von 12. Das schmeckt richtig gut! Und so muss ich heute definitiv nicht mit knurrendem Magen ins Bett. Bildquelle: srf.
Kaum angekommen werden mir vom Leiter des Zentrums die Hausregeln vorgestellt. Die Verantwortlichen geben sich Mühe, wichtige Dinge zu bebildern. Es darf also nur im Esssaal gegessen und getrunken werden, auf keinen Fall im Schlafsaal. Man soll nicht in die Dusche pinkeln. Und die Asylsuchenden müssen mit Unterschrift bestätigen, dass das WLAN nicht fürs Surfen auf Porno- oder Gewalt-Seiten verwendet wird.
Es existiert auch eine Nachtruhezeit, unter der Woche ist diese um 22 Uhr. Ich staune über die vielen Putztätigkeiten: Täglich gibt es drei Rundgänge, wo Toiletten, Böden oder die Küche von den Bewohnern gereinigt werden, dies für ein kleines Taschengeld.
Unhygienisch wirkt es deshalb nirgends in der Unterkunft. Womit ich ebenfalls nicht rechnete: Alles wird fein säuberlich in persönlichen Kästchen untergebracht. Die Schuhe, die Gefriersachen, meine Kleider, das Geschirr – ja sogar ein abschliessbares Kühlschrank-Kästchen gehören jedem Bewohner. Ich staune, wie klar strukturiert hier alles verläuft.
Tag 2: Schlafen ist schwierig
Ich bin in einen Massenschlag mit zehn anderen Personen eingeteilt. Dies ist vergleichbar mit einem Zimmer in der Rekrutenschule – das kenne ich schon. Trotzdem bekomme ich in der ersten Nacht und auch in allen darauf folgenden weniger Schlaf, als ich nötig hätte.
Das Hauptproblem: die völlig verschobenen Tagesrhythmen. Es gibt Bewohner, welche zurzeit gerade einen Deutschkurs oder einen mehrwöchigen Arbeitseinsatz leisten und deshalb frühmorgens aufstehen müssen. Gleichzeitig hat es auch welche, die gerade keine Verpflichtung haben und auch mal bis am frühen Nachmittag im Bett bleiben. Entsprechend bleiben sie bis tief in der Nacht auf, meist um sich auf ihren Handys Filme anzuschauen.
Die Verantwortlichen der Unterkunft löschen das Licht in den Zimmern zwar wenn Nachtruhe ist und sorgen dafür, dass im Gang nicht zu laut geredet wird. Weil die Zimmertüren wegen des Sauerstoff-Austauschs aber stets offen bleiben, hört man so fast die ganze Nacht Schritte, zuschlagende Kästchen oder Gespräche.
Das längerfristige Leben in einer solchen Unterkunft stelle ich mir deshalb schwierig vor, gerade wenn jemand ein Arbeits-Engagement hat. Ein Bewohner aus Afghanistan sagte mir, er würde am liebsten schon um acht Uhr abends ins Bett, um im Deutschkurs oder bei Arbeitseinsätzen fit zu sein. Aber das sei in einer solchen Anlage schlicht unmöglich.
Tag 3: Warten macht lethargisch
Es ist Sonntag, das bedeutet weder Sprachkurse noch Arbeitseinsätze für meine Mitbewohner. Obwohl draussen das schönste Frühsommerwetter herrscht, vernehme ich bis gegen Mittag noch Schlafgeräusche aus diversen Betten.
Mich zieht es nach draussen, aber rund die Hälfte meiner Mitbewohner bleibt im Bunker. Mit kleinen Spielen und Videos vertreiben sie sich die Zeit. Einige telefonieren mit Kollegen, welche in anderen Zentren untergebracht sind. Ein Asylsuchender aus Afghanistan schneidet einem Kollegen mit einem Rasierapparat die Haare. Ein anderer macht Krafttraining.
Als ich ihnen vom schönen Wetter erzähle, zucken sie nur mit den Schultern. Für mich als Schweizer ist das unverständlich. Vielleicht ist es der wiederkehrende Trott, vielleicht die Perspektivlosigkeit vieler Mitbewohner, welche zu dieser Trägheit führt. Vielleicht auch eine bedrückende Vergangenheit. Es gibt Menschen, die hier in Düdingen schon seit 17 Monaten im Bunker wohnen, da die Betreiberorganisation ORS zu wenig verfügbare Wohnungen für die Asylsuchenden findet.
Tag 4: Die Bandbreite ist riesig
Die Organisation, die das Asylzentrum betreibt, organisiert immer wieder freiwillige Aktivitäten für die Bewohner. Beispielsweise gibt es in der Regel pro Woche drei Sportblöcke in einer Turnhalle. Die Asylsuchenden haben dabei die Möglichkeit, mit einem Sportcoach zunächst ein Krafttraining und anschliessend ein Fussballturnier zu absolvieren.
Auch Picknick-Nachmittage im Wald mit Spielen gibt es. Meistens nimmt aber immer nur dasselbe Drittel der Bewohner daran teil. Das merkte ich auch in meiner Woche: Von den 26 Mitbewohnern habe ich eigentlich nur mit zehn engeren Kontakt – die anderen sind mir aus dem Weg gegangen, können die Sprache überhaupt nicht oder befinden sich sowieso fast nie für eine längere Zeit in der Unterkunft.
Mir wird bewusst, dass die Bandbreite unter den Asylsuchenden riesig ist und dies in so vielen Bereichen. Es gibt Leute, welche Deutsch enorm schnell lernen, andere waren noch gar nie in einer Schule und werden im Kurs völlig abgehängt. Die einen Leute sind offen und unternehmenslustig. Andere sind lieber in sich gekehrt und wollen mit dem Betrieb des Zentrums möglichst wenig zu tun haben.
Und dann gibt es auch diejenigen, die sich offensichtlich gezielt auf die Reise in die Schweiz vorbereitet haben. Ein Asylsuchender berichtet mir, dass er bereits in seinem Heimatland Deutschkurse besuchte und seine Grosseltern ihren Schmuck für die Fahrtkosten nach Europa verkauft hätten. Andere wiederum waren im Gefängnis, konnten flüchten und gelangten so direkt auf die Fluchtroute Richtung Europa.
Tag 5: Beeindruckende Gastfreundschaft
Ich werde diese Woche etliche Male von Somaliern, Eritreern oder Afghanen zum Essen eingeladen. Einmal frage ich aus journalistischer Neugierde nur rasch nach, was sich denn in einem Kochtopf befinde. Da erhalte ich schon die Antwort: «Komm, iss mit uns!».
Am Anfang habe ich noch ein schlechtes Gewissen. Denn ich habe ja am ersten Tag durchaus Lebensmittel eingekauft. Aber ich merke, dass eine ablehnende Antwort auf Enttäuschung stösst. Ich lerne auch, dass es nicht klug ist, den Teller bis auf den letzten Krümel leer zu essen, denn dann reichen meine Mitbewohner sofort ein tellergrosses Stück Fladenbrot nach.
Dazu scheint es unhöflich zu sein, beim Abwaschen mithelfen zu wollen. Entschieden werde ich jedes Mal in die Schranken gewiesen – Aufräumen hinterher ist offensichtlich klar die Aufgabe desjenigen, der gekocht hat. Ich bin wirklich tief beeindruckt von der riesigen Grosszügigkeit dieser Menschen, welche selber nicht viel besitzen.
Tag 6: Das Geld reicht aus
Die Asylsuchenden erhalten pro Tag 12 Franken für ihre Grundbedürfnisse. Wenn sie an freiwilligen Arbeitseinsätzen teilnehmen, kommen sie so auf ein durchschnittliches monatliches Einkommen von rund 420 Franken.
Bezahlen müssen die Asylsuchenden davon die gesamten Haushaltskosten. Dazu gehören zum Beispiel Kleider, Hygieneartikel, Waschmittel oder Küchenutensilien, die über Pfannen, Geschirr und Besteck hinausgehen. Auch den öffentlichen Verkehr müssen sie selbst berappen, es sei denn, die Asylsuchenden müssen mit dem Zug in die Sprachschule oder zur Arbeit.
Mein Fazit nach knapp einer Woche: Ich finde, meine Mitbewohner haben mit diesem Betrag das Nötigste zum Leben und können sich auch ab und zu etwas Schönes leisten. Beim Essen tun sie sich zusammen und können so auch für grössere Posten sparen. So kaufen sie sich manchmal etwa teure Markenkleider oder ein Handy.
Die teuersten Mobiltelefone finde ich aber in der Unterkunft nicht vor, meist sind es Mittelklasse-Geräte, welche rund 300 Franken kosten. Gleichzeitig sind sie sich auch nicht zu schade, sich gegenseitig die Haare zu schneiden. Ich finde nicht, dass sie am Hungertuch nagen. Aber sie schwimmen definitiv auch nicht im Luxus.
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Bild 1 von 12. Mein Restbetrag. Ich bin sehr gut durch meine Asylwoche gekommen. Dies liegt aber vor allem an der Grosszügigkeit meiner Mitbewohner. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 12. Sportlicher Flitzer. Omid hat sich für 100 Franken ein Longboard gekauft. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 12. Zahltag. Ein Mitbewohner zeigt mir den symbolischen Lohn, welchen er für einen Tag gemeinnützige Arbeit erhalten hat. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 12. Modische Schuhe. Stolz präsentiert Djemil sein Modell. Bildquelle: SRF.
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Bild 5 von 12. Sie haben nichts gekostet. Die Schuhe stammen aus der kostenlosen Kleidersammlung. Bildquelle: SRF.
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Bild 6 von 12. Kleiderspenden. Sie sind bei meinen Mitbewohnern nicht immer beliebt, weil sie entweder zu gross oder zu wenig modisch seien. Bildquelle: SRF.
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Bild 7 von 12. Stolzer Besitzer. Brhane aus Eritrea hat sich ein neues Handy für 249 Franken gekauft. Bildquelle: SRF.
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Bild 8 von 12. Keine Päckchen. Aus Budgetgründen drehen sich meine Mitbewohner ihre Zigaretten selber. Bildquelle: SRF.
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Bild 9 von 12. Nawid hat sich die Rasentreter für 50 Franken im Ausverkauf geholt. Bildquelle: SRF.
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Bild 10 von 12. Junge Asylbewerber wie Riaz kaufen sich meistens das Gleis 7. So können sie am Abend kostenlos Zug fahren. Bildquelle: SRF.
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Bild 11 von 12. Karim tippt ab und zu auf Fussballspiele. Den Gewinn aus dieser Woche habe er in Zigaretten und Eistee investiert. Bildquelle: SRF.
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Bild 12 von 12. Dieser Mitbewohner erduldet den kaputten Bildschirm schon seit zwei Jahren . Bildquelle: SRF.
Tag 7: Mit der Energie am Ende
Am siebten Tag verlasse ich die Unterkunft. Zu rund zehn Personen habe ich einen engen Draht gefunden und habe diese Leute auch wirklich in mein Herz geschlossen. Nach dem Selbstversuch bin ich mit meiner Energie aber auch ziemlich am Ende, unter anderem deshalb, weil ich wegen den vielen Störeinflüssen zu viel zu wenig Schlaf gekommen bin.
Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, wie einige Asylsuchende über ein Jahr in dieser Unterkunft zu leben. Und dabei in dieser Zeit initiativ zu bleiben, aktiv Deutsch zu lernen und Kontakt zu den Einheimischen zu suchen. Ich weiss wirklich nicht, ob ich dazu die Selbstdisziplin hätte – und ich habe grossen Respekt vor denjenigen, die auch nach längerer Zeit unter diesen Umständen genau diese Dinge noch tun.