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Walter steht im Gegenlicht vor einem Fenster im Regionalzentrum Oberland der Stiftung Berner Gesundheit, gegenüber befindet sich das Thuner Schloss.
Legende: Walter hat mit einer Therapie seine Alkoholsucht überwunden. Barbara Büttner/SRF

Schweiz «Ich bin sicher, dass ich die Alkoholsucht überwunden habe»

Alkohol ist nach wie vor die Nummer eins unter den Drogen in der Schweiz. Alkohol im Übermass zerstört nicht nur das Leben des Süchtigen – auch für die Angehörigen sind von der Sucht betroffen, wie eine Reportage aus dem Suchtzentrum in Thun zeigt.

Von den Fenstern des Regionalzentrums Oberland sieht man ins Grüne. Gleich gegenüber liegt das Schloss Thun – eine Postkarten-Idylle. Die Adresse lautet Aarestrasse 38 B – B wie Beratung. Diese ist neben dem umfassenden therapeutischen Angebot zur Bekämpfung aller Arten von Süchten ein Grundpfeiler der Arbeit des Zentrums.

Die meisten kommen mit Alkoholproblemen

Aufruf zur Selbstreflexion

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Der Bund lanciert seine neue Alkoholpräventionskampagne. Sie zeichnet den Zusammenhang von Alkoholkonsum und verschiedenartigen Todesfällen nach und empfiehlt insbesondere im Alter einen massvollen Alkoholgenuss. Lesen Sie hier mehr.

Drei Viertel der Rat-und Hilfesuchenden kommen wegen Alkoholproblemen. Heinz Lengacher, seit Dezember Leiter des Regionalzentrums, hat dafür eine einfache Erklärung: «Je weiter hinaus in die Peripherie man geht, desto höher ist der Alkoholprozentsatz.» Andere Substanzen spielten in den Tälern eine weniger grosse Rolle als Alkohol.

Unter den Klienten des Thuner Zentrums sind viele, die lernen, weniger und kontrolliert zu trinken. Aber es gibt auch die schweren Fälle, bei denen die Abstinenz die einzige Lösung ist. Fälle wie Walter. Der heute 72-Jährige hätte sich nie träumen lassen, je alkoholsüchtig zu werden.

Erkrankung als Auslöser einer Krise

Walter hat sein ganzes Leben in Thun verbracht, ausgenommen der Zeit, in der er sich in Bern vom Heizungsmonteur und -installateur zum Fachmann für Dieselmotoren weiterbildete. Doch mit 57 Jahren erkrankte er. Ein Aneurysma, eine Arterienerweiterung im Hirn, veränderte seine Welt auf einen Schlag. Zwei schwere Hirnoperationen waren nötig, es blieben Folgeschäden. Danach konnte er seinen geliebten Job nicht mehr ausüben.

«Ich war Vorgesetzter von 30 Leuten. Es hat mich psychisch schwer belastet, das nicht mehr zu haben», sagt Walter. In der Folge sei er in ein tiefes Loch gefallen. «Ich fühlte mich wertlos, einsam und griff zum Alkohol.»

Dass eine Lebenskrise Walters Alkohol-Karriere ausgelöst hat sei typisch, sagt Zentrumsleiter Lengacher. Eine Scheidung, der Tod eines Ehepartners oder eine Pensionierung könnten zu schweren Krisen führen, in denen man gerne das Vergessen im Alkohol suche. Häufig brauche man zu Beginn nicht viel Alkohol, um die Probleme zu vergessen. «Doch es bildet sich eine Toleranzentwicklung – und man braucht mehr Alkohol.»

Audio
«Meine Familie blühte auf – wir haben nun wieder guten Kontakt»
aus SRF 4 News aktuell vom 23.04.2015.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 56 Sekunden.

Ohne Whisky kam er nicht mehr aus

Auch Walter trank schnell immer mehr. Zuerst Bier und Wein, dann kam der Whisky dazu, ohne den er bald nicht mehr auskam. Walter igelte sich ein. Immer häufiger verschwand er in seinem Bastelkeller, trank dort im Verborgenen. Wenn sein Alkoholpegel hoch genug war – und auch das war immer öfter der Fall – verschwand er schon am frühen Abend ab ins Bett und schlief dort seinen Rausch aus.

Er wandte sich von seiner Frau ab, mit der er seit 47 Jahren verheiratet war, und mit der er immer so gerne und ausgiebig über alles gesprochen hatte. Walter hatte keine Lust mehr zum Reden. Nur noch zum Streiten. «Manchmal merkte ich, dass meine Frau recht hatte, was ich aber nicht zugeben wollte», blickt Walter zurück. Er habe dann oftmals sehr aufbrausend reagiert.

Ehefrau drohte, Walter zu verlassen

Walter wurde zunehmend isolierter. Auch Freunde und Nachbarn wandten sich immer mehr von ihm ab. Doch er konnte nicht mit dem Trinken aufhören, obwohl ihn das schlechte Gewissen mehr und mehr plagte. Fünf Jahre ging es so, dann kam es zur Eskalation: «Meine Frau sagte zu mir: ‹Fertig. Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr. Du musst etwas unternehmen, sonst muss ich dich verlassen.›»

Das wollte Walter um keinen Preis. Die Familie ist sein Ein und Alles. Also entschloss er sich zur Therapie. Zuerst ambulant in der psychiatrischen Klinik in Münsingen. Als er rückfällig zu werden drohte, meldete ihn sein Hausarzt im Regionalzentrum Oberland der Stiftung Berner Gesundheit an. Das sei seine Rettung gewesen, schwärmt Walter – für ihn und die Familie: die Frau, die Tochter und deren Mann sowie die beiden Enkelkinder. «Meine Familie blühte wieder auf. Es fiel ihnen ein Stein vom Herzen. Wir haben nun wieder ganz guten Kontakt.»

«Mir selber macht die Bewältigung der Sucht am meisten Freude»

Walter verleugnet seine ehemalige Trunksucht nicht. Er redet offen darüber, und das komme bei den meisten Leuten gut an, sagt er. Etliche würden ihm dann gestehen, dass auch sie des Öfteren ein wenig zu viel tränken, schmunzelt er. Dem Zentrum Oberland hält er – zur Freude von Leiter Lengacher – auch nach fünf Jahren Abstinenz noch immer die Treue: «Mein Arzt hat mich schon gelobt, dass ich immer noch hingehe. Doch am meisten Freude, dass ich das bewältigen konnte, macht es mir selber. Ich bin sicher, dass ich es geschafft habe.»

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