- Bei ungenügenden ärztliche Leistungen oder fehlerhaften Implantaten besteht grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz.
- Wer Schadenersatz will, muss sich selber darum kümmern.
- Die Hürden sind hoch. Ohne juristischen Beistand besteht kaum Aussicht auf Erfolg.
Minderwertige Brustimplantate, fehlerhafte Hüftprothesen, unsorgfältige Behandlungen – auch in der Schweiz sind Patientinnen und Patienten nicht vor medizinischen Fehlleistungen gefeit.
Die Forderung nach Schadenersatz steht dann schnell im Raum. So gingen im Zuge der Berichterstattung über die «Implant Files» auch zahlreiche Zuschauerfragen zu diesem Thema beim Gesundheitsmagazin «Puls» ein. Die Recherchen zeigten: Auch wer einen massiven Schaden hat, hat noch lange keine Entschädigung auf sicher.
Otto Oppliger (72), gebrochene Hüftprothese
Besuch im Berner Jura: Als Landwirt darf Otto Oppliger nicht zimperlich sein, und arbeiten konnte er immer, auch mit seinem künstlichen Hüftgelenk. Bis das Implantat eines Tages mit einem lauten Knall in seiner Hüfte zerbrach.
Die scharfen Bruchstücke zerstechen ihm den Oberschenkel. Qualvolle fünf Tage wartet er im Spital auf das Ersatzgelenk.
Das Implantat hätte nicht brechen dürfen, findet Otto Oppliger. Es gab keinen Grund. Darum glaubt er: Das war nicht Pech, sondern ein Materialfehler.
Angela Blaser (37), bleibende Schäden nach Nasenoperation
Es passierte, als Angela Blaser mit ihren Kindern spielte. Ein Zusammenprall von Köpfen, und ihre Nase war gebrochen. Der Belegarzt riet zur Operation, empfahl, Scheidewand und Nebenhöhlen gleich mitzubehandeln.
Nach dem Eingriff verspürt Angela Blaser durch die Watte-Tamponade einen extremen Druck im Kopf. Die dicke Tamponade bleibt zu lange drin, bringt schliesslich gar Teile des Gewebes zum Absterben.
Der Arzt wiegelt ab. Doch seit dem Eingriff sind die Nasen-Schleimhäute zerstört, Geruchs- und Geschmackssinne beeinträchtigt. Die Brille findet keinen Halt mehr. Beunruhigt zeigt Angela Blaser ihre Nase einem anderen Spezialisten. «Der hat gemeint, er habe noch nie so etwas gesehen.»
Constantin Katsoulis (55), Schlaganfall nach Chiropraktik-Sitzung
Es begann mit Schmerzen im Schulterbereich. Die brachten Constantin Katsoulis zum Chiropraktiker, der auch gezielte Griffe im Bereich der Halswirbel empfahl.
20 Minuten nach so einer Behandlung verspürt Constantin Katsoulis unheimliche Symptome und findet sich auf der Notfallstation wieder.
Diagnose: Hirnschlag, ausgelöst durch einen Riss in der Halsschlagader. Die Folgen: Bleibende körperliche, geistige, seelische Schäden. Jobverlust. Existenzielle Probleme.
Alles nicht nur nach, sondern wegen der Behandlung beim Chiropraktiker, ist Constantin Katsoulis überzeugt.
Hohe Hürden für Schadenersatz
Otto Oppliger, Angela Blaser, Constantin Katsoulis: Alle drei sind fest davon überzeugt, dass ihnen Schadenersatz zusteht.
Mit der Überzeugung alleine ist es aber nicht getan, denn Artikel 42 des Obligationenrechts hält kurz und bündig fest: «Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen.» Die Beweislast liegt also nicht beim Hersteller oder behandelden Arzt, sondern bei der geschädigten Patientin, dem geschädigten Patienten.
Dafür ist nicht nur der Behandlungs- oder Materialfehler nachzuweisen, es muss auch belegt werden, dass der Fehler gesundheitliche Folgen hatte.
Der lange Weg zum Schadenersatz
Wer sich dieser Herkulesaufgabe stellen und die Haftpflichtversicherung des Arztes, Spitals oder Herstellers von seiner Forderung überzeugen will, benötigt die vollständige Krankenakte, dazu meist ein unabhängiges ärztliches Gutachten.
Und ausserdem: Geduld. Viel Geduld. Denn nicht selten kommt es zu einem langwierigen Hin und Her von Gutachten und Gegengutachten, bis es vielleicht einmal zu einer gütlichen Einigung mit dem Versicherer kommt. Diese ist anzustreben, denn gehen abgewiesene Patienten vor Gericht, drohen jahrelange kostspielige Verfahren mit offenem Ausgang.
Ohne Hilfe wenig Chancen
Ohne professionelle medizinische und juristische Begleitung sind die Erfolgsaussichten gering. Angela Blaser wandte sich an ihre Rechtsschutzversicherung und an eine Patientenschutzstelle. Die prüfte ihre Ausgangslage, vermittelte einen Anwalt, ein medizinisches Gutachten.
Die Versicherungen versuchen doch mit allen Mitteln Kosten zu sparen – auf Kosten der Patienten.
Constantin Katsoulis kämpft heute mit seinem Anwalt um Schadenersatz. Es ist ein zähes Ringen mit dem Versicherer des Chiropraktikers, das Katsoulis zur Überzeugung brachte, dass es den Versicherungen in erster Linie darum geht, Kosten zu sparen – auf Kosten der Patienten.
Dragana Weyermann von der Patientenstelle Basel kann diesen Eindruck gut nachvollziehen: «Viele Betroffene meinen, dass es gut kommt mit Schadenersatz und Genugtuung, sobald der Fall bei der Haftpflichtversicherung des Spitals oder Arztes angemeldet ist.»
Ihre Erfahrung zeige aber, dass das Gegenteil der Fall ist. «Da bekommt man von der Versicherung erst mal ein ablehnendes Schreiben.»
Hubert Bär, Leiter des Bereichs Haftpflicht beim Schweizerischen Versicherungsverband SVV, stellt sich der Kritik: «Den Haftversicherern geht es nicht darum, Ansprüche einfach abzuschmettern.» Vielmehr sehe man sich in der Rolle eines neutralen Beobachters, der möglichst objektiv abwägt, ob eine Behandlung nach allen Regeln der Kunst erfolgt ist oder nicht.
«Natürlich ist ein Versicherer Vertragspartner des entsprechenden Spitals oder Arztes», räumt Bär ein. «Aber man hat ja jedes Interesse, dass die Beurteilung auch vor Gericht standhalten würde.»
Nur 10 von 57 Gutachten mit Aussicht auf Erfolg
Zu Schadenersatz-Zahlungen in der Schweiz gibt es wenig konkrete Daten. Die Haftpflichtversicherer halten sich zum Schutz ihrer Kundschaft bedeckt. Einen Eindruck der Erfolgsaussichten vermittelt aber die Gutachterstelle der Ärztegesellschaft FMH:
- 2017 veranlassten die FMH-Juristen 57 medizinische Gutachten.
- Nur in 18 Dossiers fanden die Experten einen Behandlungsfehler bestätigt.
- Und nur gerade für 10 der 18 Fälle bejahten die Gutachter auch einen Zusammenhang zwischen Fehler und beklagtem Gesundheits-Schaden.
- Ob diese zehn dann auch wirklich Schadenersatz bekamen, ist unbekannt.
Otto Oppliger, Angela Blaser, Constantin Katsoulis: Was ist aus ihrem Wunsch nach Schadenersatz geworden?
Constantin Katsoulis kämpft mit dem Anwalt weiter um Schadenersatz, unterstützt von seiner Partnerin. Er verlangt vom Versicherer Gerechtigkeit. Doch der Ausgang ist offen.
Angela Blaser und ihr Anwalt einigten sich mit dem Haftpflichtversicherer des Chirurgen. Gutachten belegten: Der Arzt hatte seine Sorgfaltspflicht gleich mehrfach folgenschwer verletzt. Das dreijährige Hin und Her endete in einigen Zehntausend Franken Schadenersatz.
Otto Oppliger bleibt nur die Ungewissheit. Hatte er einfach Pech? Oder war sein Implantat tatsächlich mangelhaft? Er wird es wohl nie erfahren. Auf sich allein gestellt, ohne Rechtsschutz-Versicherung, fehlte ihm die Kraft, dem vermuteten Materialfehler auf den Grund zu gehen.