Die EU-Kommission ja nicht provozieren – das war offensichtlich das Motto der Mehrheit der nationalrätlichen Kommission, die vergangenen Freitag ihren Umsetzungsvorschlag für die Masseneinwanderungs-Initiative präsentiert hat.
Dieser sieht keine Höchstzahlen und Kontingente vor, und auch keinen wirklichen Vorrang für Inländer bei Neuanstellungen. Und wenn doch Massnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung ergriffen werden sollten, dann nur im Einklang mit der EU. Damit nimmt die Kommission einen klaren Verstoss gegen die Bundesverfassung in Kauf, um das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU nicht zu gefährden.
Brüssel will ein Rahmenabkommen
Doch die EU zeigt sich darob alles andere als dankbar. In einem aktuellen vertraulichen Papier hält die EU-Kommission von Jean-Claude Juncker fest, ein Rahmenabkommen mit der Schweiz könnte nun «besonders wichtig» werden, falls sich dieser Vorschlag nächste Woche im Nationalrat durchsetzen sollte.
Diese Haltung ist besonders pikant, weil der Bundesrat eine solche Verknüpfung der Masseneinwanderung mit dem Rahmenabkommen kategorisch ablehnt. Der Landesregierung ist bewusst: Ein Abkommen, das die Schweiz zur Übernahme von künftigem EU-Recht verpflichten und den Europäischen Gerichtshof als höchstrichterliche Instanz in Konfliktfällen einsetzen will, hat derzeit beim Schweizer Volk keine Chance.
«Ein bisschen geschockt»
Entsprechend konsterniert reagieren Nationalräte, wenn sie das Papier aus Brüssel lesen. Kathy Riklin (CVP/ZH), die als Mitglied der EU-/EFTA-Delegation des Parlaments der EU sonst sehr wohlgesinnt ist, äussert sich «sehr erstaunt, um nicht zu sagen, ein bisschen geschockt». Man habe sich speziell bemüht, eine betont sanfte und EU-kompatible Vorlage auszuarbeiten, doch selbst das gehe Brüssel noch zu weit.
Das mache die Lage schwierig, findet Riklin. «Es bringt das ganze Gebilde, das wir aufgebaut haben, ins Wanken.» Denn nun stelle sich die Frage, wieso man die Umsetzung derart schwach machen sollte und nicht doch schärfere Massnahmen gegen die Einwanderung ergreifen sollte.
«Eine Drohgebärde der EU»
Für FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi ist das Papier der EU «ganz klar eine Drohgebärde». Die EU reagiere mit diesem Schreiben auf die klare Haltung des Bundesrates, wonach eine Verknüpfung der Masseneinwanderungs-Initiative mit dem Rahmenabkommen nicht in Frage komme. Dies gefalle der EU gar nicht, deshalb versuche Brüssel nun, diese Verknüpfung wieder herzustellen.
Doch der Versuch sei nicht besonders gut gelungen, findet auch Parteikollege und Direktor des Gewerbeverbandes, Hans-Ulrich Bigler (FDP/ZH): «Druckversuche aus der EU kommen in der Schweiz nicht gut an.»
Hart bleiben und sich nicht beeindrucken lassen, ist deshalb das Motto des Freisinns. Ein Rahmenabkommen habe derzeit bei der Schweizer Bevölkerung keine Chance, so Bigler weiter. «Wir suchen eine Lösung der Umsetzung des Bundesverfassungsartikels 121a, das ist das Ziel», sagt er. Man wolle und könne diese beiden Dinge nicht verknüpfen.
«Ein innenpolitisches Problem»
Auch Tim Guldimann, SP-Nationalrat und ehemaliger Botschafter der Schweiz in Deutschland, rät, ruhig zu bleiben: «Wir sollten jetzt nicht die innenpolitische Diskussion erschweren, wie wir die Masseneinwanderungs-Initiative umsetzen.» Dies sein ein innenpolitisches Problem.
Die Politik in der Schweiz ist denn auch eifrig daran, das Problem auf ihre Weise zu lösen: Sie bewegt sich dieser Tage nämlich immer mehr vom weichen Vorschlag («Inländervorrang light») der Nationalrats-Kommission weg. Dieser müsse verschärft werden, teilte etwa die CVP nach ihrer heutigen Fraktionssitzung mit. Sie werde ihre Anträge zur härteren Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative nächste Woche deshalb noch einmal im Nationalrat einbringen.