Auf dem Facebook-Kanal der SVP lässt Bundesrat Ueli Maurer so richtig Dampf ab. Er kritisiert eine allgemeine Expertengläubigkeit bei Corona, viele Experten seien zudem einseitig. «Da sind auch die, die alles besser wissen und moralisieren», sagte er. «Sie sehen nur die Gesundheit.» Die Bedürfnisse der Wirtschaft und der Gesellschaft würden zu wenig berücksichtigt.
Martin Ackermann, der Leiter der Swiss-Covid-Taskforce, die den Bundesrat wissenschaftlich berät, wehrte sich an der heutigen Medienkonferenz der Fachexperten gegen solch pauschale Vorwürfe.
Gesundheit, Wirtschaft und Freiheit, das muss in dieser Pandemie Hand in Hand gehen.
Zumindest die wissenschaftliche Taskforce sei sehr breit abgestützt: «Für uns ist es absolut zentral, dass wir alle relevanten Perspektiven einbringen.» Gesundheit, Wirtschaft und Freiheit, das müsse in dieser Pandemie «Hand in Hand» gehen und das berücksichtige die Taskforce auch bei ihren Empfehlungen.
Noch letzten Freitag kritisierte Ackermann, die Massnahmen des Bundes würden nicht reichen, um die Ansteckungszahlen einzudämmen. Heute war davon keine Rede mehr. Die Lage stabilisiere sich, sagte Ackermann, man verzichte auf neue Empfehlungen. Aber er warnte wieder vor einer Überlastung der Intensivstationen. Alle Plätze könnten Mitte November belegt sein, also in wenigen Tagen. Solche Prognosen wurden schon mehrfach aufgestellt – sie sind bisher nie eingetreten.
Daniel Koch kritisiert Prognosen
Der ehemalige «Mister Corona» des Bundesamtes für Gesundheit, Daniel Koch, hält wenig von solchen Prognosen. Letzte Woche am «Swiss Media Forum» sagte er: «In Krisensituationen sind Prognosen keine gute Kommunikation.» Denn die Prognosen würden selten eintreffen. Man solle den Spitälern besser sagen, sie sollten sich auf das Schlimmste vorbereiten.
Der Präsident der wissenschaftlichen Taskforce verteidigt die Prognosen. Das Ziel sei es aufzuzeigen, was geschehe, wenn die Bevölkerung und die Politik keine Anstrengungen unternehme. «Die Absicht dieser Prognosen ist, Anstrengungen einzuleiten», so Ackermann. Damit man eben genau nicht in den Zustand einer Kapazitätsüberschreitung komme.
Heikle Gratwanderung für die Experten
Rudolf Hauri, der Präsident der Vereinigung der Kantonsärzte, räumte heute ein, dass die Berechnungen der Intensiv-Kapazitätsgrenze ungenau sei. «Man hat noch Spielraum», erklärte Hauri. So könnten Spitäler zusätzliches Personal aus Privatkliniken holen und so zusätzliche Intensivplätze betreiben, die heute nicht in den Statistiken auftauchen.
Für die Experten, insbesondere die der wissenschaftlichen Taskforce, ist diese zweite Welle eine heikle Gratwanderung: Man will die Menschen aufrütteln, ihr Verhalten beeinflussen. Und gleichzeitig müssen sie hoffen, dass ihre Glaubwürdigkeit nicht beschädigt wird – durch Prognosen, die nicht eintreten.