Gemächlich tritt Josef Lohri in die Pedalen seines Hometrainers. Noch im vergangenen Frühling war das für ihn unvorstellbar. Der schwer herzkranke Patient bangte jeden Tag, ob er noch rechtzeitig ein Spenderherz erhalten würde. Dann kam Anfang April mitten in der Nacht der erlösende Anruf. Wie sich der pensionierte Lehrer erinnert, war er schon im Bett, als seine Frau ins Zimmer kam, um ihm zu sagen, dass er noch in dieser Nacht operiert würde. «Ich habe nur noch gejubelt.» Es sei eine absolute Befreiung gewesen, nach einer langen Zeit, die für ihn und seine Familie schwer gewesen sei.
Gesinnungswandel in der Bevölkerung
Dass Josef Lohri weiterleben konnte, ist nicht zuletzt auf die grössere Anzahl Menschen zurückzuführen, die bereit sind, nach dem Tod ihre Organe zu spenden. 2012 betrug die Zahl hirntoter Organspender noch 96. Seither sind es jährlich mehr geworden. Im vergangenen Jahr waren es 142, so viele, wie nie zuvor.
Eine Entwicklung, die Franz Immer mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt. Der Direktor der Schweizerischen Stiftung für Organspende und Transplantation (Swisstransplant) sieht dafür mehrere Gründe: «Ich glaube, dass in den Spitälern, die hauptsächlich für diese Entwicklung verantwortlich sind, aber auch in der Bevölkerung ein Umdenken stattfindet. So wird die Organspende mehr und mehr auch in der Schweiz zur Regel wird, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen erfüllt sind.» Zudem sei die Öffentlichkeitsarbeit des Bundes in diesem Bereich besser geworden.
«Ernüchterndes Resultat»
Und dennoch – die Nachfrage nach Organen bleibt in der Schweiz deutlich höher als das Angebot. Die Warteliste ist lang.
1382 Personen benötigten Ende 2015 eine Organspende. Nach wie vor sterben jede Woche mehr als zwei Menschen, während sie auf ein lebensrettendes Organ warten. Im europäischen Vergleich hat die Schweiz nach wie vor eine tiefe Organ-Spenderate. Das sorgt für Kritik.
Der renommierte Herzchirurg und Direktor der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie des Inselspitals in Bern, Thierry Carrel, wirft Swisstransplant Ineffizienz vor. «Wenn man sieht, wie die Mittel von Swisstransplant in den letzten 20 Jahren massiv aufgestockt und das Personal ausgebaut wurde, dann ist das Resultat der Organspenden ziemlich ernüchternd», sagt Carrel.
Der CEO von Swisstransplant zeigt Verständnis für diese Kritik. «Wenn man als behandelnder Chirurg einen Patienten verliert, weil ein rettendes Organ nicht kommt, ist das sehr belastend.» Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass eine Steigerung der Zahlen eine gewisse Zeit in Anspruch nehme und die Entwicklung der letzten Jahre sehr positiv sei.
Spontanität ist zurück
Der herztransplantierte Josef Lohri geniesst derweil sein neues Leben. Vor der Operation hat er über Jahre nichts spontan unternehmen können. «Und jetzt sage ich meiner Frau: Komm lass uns einen Ausflug machen oder auch ein paar Tage Ferien!» Dieses Gefühl sei einfach wunderbar.